Krebsforschung Schnupfen statt Krebs

Von Nina Buschek
Kaum beginnt die kalte Jahreszeit, machen sie sich breit in U-Bahnen, Schulen und Bürokantinen: Schnupfenviren. Die lästigen Viren bergen jedoch ein ungeahntes Potenzial - schon bald könnten sie die Krebstherapie revolutionieren.

Per Sonne Holm ist mächtig stolz auf seine Viren. Seit einigen Jahren sind sie Teil seines Lebens. Der Biologe hat sie genau erforscht: ihre Eigenschaften und wie sie sich vermehren. Mit Erfolg, denn zusammen mit seinem Team vom Institut für experimentelle Onkologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München hat der Forscher es geschafft, gewöhnliche Schnupfenviren so zu verändern, dass sie sich gezielt in Tumorzellen vermehren und diese zerstören. Mit diesen Viren haben die Wissenschaftler dem Krebs den Kampf angesagt. Sie hoffen, vor allem den Patienten helfen zu können, bei denen herkömmliche Tumortherapien nicht mehr anschlagen.

Krebszellen begehen Selbstmord

Xvir03, so der Entwicklungsname der neuen Waffe gegen Krebs, ist ein gentechnisch verändertes Adenovirus, einer der vielen Verursacher des gewöhnlichen Schnupfens. Gesunden Körperzellen kann das Virus nichts anhaben, denn es vermehrt sich ausschließlich im Kern von Tumorzellen. Und zwar so lange, bis sich der Zellkern aufbläht, platzt und die Krebszelle schließlich zugrunde geht. Die freigesetzten Viren infizieren benachbarte Zellen, die ebenfalls absterben, und so fort. So produziert die Krebszelle ihr eigenes Krebsmedikament, der Tumor begeht quasi Selbstmord.

Das Zelleiweiß YB-1 spielt gleich in zweifacher Hinsicht eine Schlüsselrolle bei der neuen Behandlung. Zum einen bilden nur Krebszellen das Eiweiß in nachweisbaren Mengen und nur bei Krebszellen kommt YB-1 im Zellkern vor. Weil die veränderten Viren aber genau dieses Eiweiß brauchen, um sich zu vermehren, befallen und zerstören sie ausschließlich Tumorzellen.

Das Besondere: In allen bisher untersuchten Tumorarten haben die Forscher YB-1 gefunden. Ein Medikament auf der Basis von Holms Viren könnte also gegen Hirntumoren genauso wirken wie gegen Magen- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs.

YB-1 ist zum anderen mitverantwortlich dafür, dass die Chemotherapie bei manchen Patienten nicht mehr wirkt. "Krebszellen werden unempfindlich gegen Zytostatika", erklärt Holm, "weil sie eine Art Pumpe bilden, mit der sie die Medikamente einfach wieder nach draußen befördern. Dafür brauchen sie YB-1. Wenn nun aber unsere Viren YB-1 bei ihrer Vermehrung verbrauchen, steht weniger für den Pumpen-Bau zur Verfügung und die Zelle wird wieder empfindlich für Zytostatika."

Ein leichter Schnupfen als Nebenwirkung

Obwohl die Krebstherapie in den letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte gemacht hat, sind die Mediziner bei einigen Tumoren immer noch relativ machtlos. Besonders gefürchtet sind Bauchspeicheldrüsenkrebs oder auch manche Gehirntumoren. Solche Diagnosen überleben die Betroffenen selten länger als ein Jahr.

Genau für diese Patienten verspricht der neue Behandlungsansatz Hoffnung. "Mit unseren Viren bekämpfen wir den Krebs von einer völlig neuen Seite", sagt Holm. "Einerseits zerstören wir ganz gezielt Tumorzellen, andererseits machen wir den Krebs empfindlicher gegenüber der klassischen Chemotherapie. Deshalb ist es auch sinnvoll, Viren und Chemotherapie in Kombination einzusetzen."

Ein milder Schnupfen wäre die Nebenwirkung der Therapie, die sich aber noch im Entwicklungsstadium befindet
Ein milder Schnupfen wäre die Nebenwirkung der Therapie, die sich aber noch im Entwicklungsstadium befindet
© Colourbox.com

Ein weiterer Vorteil der Schnupfenviren: Sie haben kaum Nebenwirkungen. Denn anders als die konventionelle Chemotherapie, die dem Tumor mit starken und relativ unspezifischen Zellgiften zu Leibe rückt und auch gesunde Zellen erheblich schädigt, verursachen die Viren aller Voraussicht nach nur leichte Erkältungssymptome. "Ein bis zwei Tage leichtes Fieber, ein milder Schnupfen, das war's", meint Holm.

Erlösender Schnupfen schon in drei bis fünf Jahren?

Dass ihr Therapieansatz funktioniert, haben Holm und seine Kollegen, zu denen auch Forscher der Uniklinik Tübingen und der Charité Berlin gehören, in Tierversuchen bewiesen. Und zwar so eindrucksvoll, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung den Wissenschaftlern Fördergelder in Höhe von 1,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat.

Die Grundlagenforschung ist abgeschlossen, die Viren und deren Verwendung sind patentiert. Trotzdem werden noch einige Jahre vergehen, bis die ersten Krebspatienten behandelt werden können. Denn bevor die Behörden den Einsatz eines neuen Medikaments am Menschen erlauben, muss ganz klar sein, wie das Mittel verabreicht werden kann, wie es sich im Körper verteilt, welche Wirkungen und welche Nebenwirkungen es hat. Diese Fragen müssen Holm und seine Mitarbeiter noch beantworten, bevor sie die erste Virenspritze verabreichen dürfen. Medikamentenentwicklung ist langwierig, teuer und muss viele bürokratische Hürden überwinden. "Aber das ist auch gut so", sagt der Biologe. "Denn wir wollen ja maximale Sicherheit für den Patienten gewährleisten."

Mit der Gründung einer eigenen Biotech-Firma, XVir Therapeutics, haben die Wissenschaftler alle Voraussetzungen für die weitere Entwicklung und Vermarktung ihrer Viren geschaffen. Wann ein Medikament auf den Markt kommen wird, hängt auch davon ab, wie schnell XVir Therapeutics zusammen mit einem Partner aus der Pharmaindustrie die aufwändigen klinischen Tests durchführen kann. Wenn alles gut geht, könnten sich in den nächsten drei bis fünf Jahren die ersten Krebspatienten über einen erlösenden Schnupfen freuen. Holm ist optimistisch: "Ich hoffe, wir sind noch schneller."

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