E-Mail - das ist für mich eine ganz tolle Einrichtung. Ganz im Gegensatz zum Telefon oder zum Handy. Informationen und Daten werden per Mail schnörkellos zwischen zwei Partnern ausgetauscht, ohne dass großes Bla Bla mit dabei ist. Zu schade, dass so wenige Anwender bereit sind, sich richtig auf das Abenteuer E-Mail einzulassen. Ach, könnte man sie nur zwingen.
»Telefon, nur für Sie persönlich«
Fünf Mal am Tag springt Frau Junge atemlos ins Büro, hält mit einer Hand den Telefonhörer zu und flüstert: »Hier ist jemand am Apparat, der sich nicht abwimmeln lässt, ganz furchtbar wichtig tut und nur Sie persönlich sprechen möchte.« Was droht mir da? Ist es der Staatsanwalt, der mein Redaktionsbüro ausräuchern möchte? Ist es der Chef eines großen PC-Verlages, der mich dazu auserkoren hat, die deutsche Ausgabe von WIRED zu leiten? Oder ist es meine Frau, die mir mitteilt, dass sie kurz eine Ablösung bei den grantigen Kindern benötigt?
»Wann wird das denn veröffentlicht«
Weder noch. Es ist eine PR-Abteilung, die »freundlich« nachfragt, ob wir denn die bestellten Produkte erhalten haben (als ob sie das nicht wüssten!) und nun wissen möchten, wann und wo das Produkt besprochen wird (genau darauf kommt es ihnen wirklich an). Geschickt an Frau Junge vorbeilaviert, alle Achtung. PR-Profis kennen eben alle Tricks und klingen notfalls wie der Notarzt, der zum Herzinfarkt-Patienten durchgelassen werden möchte. Ich verweise also einmal mehr darauf, dass wir Belege verschicken, sobald tatsächlich etwas veröffentlicht ist - und dass wir uns vorher einfach nicht festlegen können.
Für die meisten Antworten wäre ein Textbaustein ausreichend
Fünf Gespräche à zehn Minuten am Tag und - Peng! - ist wieder eine Stunde verloren. Wir arbeiten doch alle in der PC-Branche. Warum reicht hier nicht eine E-Mail mit der gleichen Anfrage aus? Die würde ich beantworten, sobald ich einmal etwas Luft und Lust habe. Und wenn ich die gleiche Anfrage immer wieder bekomme, dann bastele ich mir eben einen Textbaustein.
Ich versuche, meine E-Mails immer sofort zu beantworten. Jedenfalls fast alle Mails. Die Mails, die jeden Morgen versuchen, meine Lust zu wecken, indem sie mir von wolllüstigen Rothaarigen, schluckwütigen Lesbierinnen und unzüchtigen Cheerleadern berichten, lösche ich einfach nur. Die Spams sind trotzdem das Salz in meiner Suppe. Es ist fast schon ein Sport für mich, sie morgens alle im Online-Postfach zu markieren, um sie dann mit einem fröhlichen »Löschen« in den Orkus zu befördern. Natürlich bevor ich die Zeit vergeudet und sie auf meine Festplatte heruntergeladen habe.
Nichts ist ätzender als Mails ohne Antwort
Doch zurück zum Beantworten der Mails. Jede wichtige Anfrage beantworte ich immer sofort, Ausnahmen bestätigen da nur die Regeln. Denn nichts ist ätzender als eine Mail ohne Antwort. Leider sind vor allem die Herren PC-Experten extrem Mail-faul. Anfragen, Ideen, Reklamationen und Bitten: Alles wird gerne ignoriert. Manchmal bekomme ich Wochen später dann doch noch eine Antwort auf meine Mail-Anfrage, ob ich einen dringend fertigzustellenden Artikel in Word-2002 oder in RTF abgeben soll. Vor allem Mails, in denen es um meine Honorare geht, verirren sich anscheinend gerne in den unendlichen Windungen des Netzes und finden nie ihren Empfänger. Manchmal glaube ich auch schon fast, dass die Meldung »Nachricht kann nicht zugestellt werden, Empfänger-Adresse hat Fehler« nur ein Textbaustein ist, den genervte Redakteure aussenden, um nicht gestört zu werden.
Noch lieber aber mag ich meine Freunde und Bekannten, die nur einmal im Jahr ihr Postfach leeren und sich dann beschweren, warum ich sie nicht auch telefonisch zum Gartenfest eingeladen habe.
Was mag das Postfach bringen?
Kennen Sie eigentlich dieses erlesene Kribbeln unterm Herzen, wenn Sie im Mail-Client den Post-versenden-Post-empfangen-Befehl anklicken und dann im Programm plötzlich alle digitalen Rädchen zu klickern beginnen? Der Kontakt zum Internet wird aufgebaut, dann gibt es eine kleine Abstimmungspause und am Ende leuchtet plötzlich die Zahl der aktuell wartenden Briefe auf. Sieben, acht Mails auf einmal, die in der Warteschlange stecken, sind schon toll. Und während die Daten übertragen werden, fragt man sich schon mit aufgestellten Nackenhaaren: Wer hat da wohl geschrieben? Hat Amazon.de den Kauf der neuen DVDs bestätigt? Hat sich Patrick aus Amerika gemeldet? Hat das Netzluder Vanessa endlich das per Mail geführte Interview zurückgeschickt? Oder senden die Layouter des neuen Sonderheftes, an dem wir gerade arbeiten, neue, spannende PDF-Korrekturseiten zum Bestaunen?
Richtig gut ist es, nach einem Kleinurlaub in den Keller hinunterzulaufen, die richtige Post vom Tisch zu fegen und den E-Mail-Client zu starten. 100, vielleicht 150 wartende Mails am Stück, das ist ein richtiger virtueller Endorphin-Schock, der lässt die Tränen kullern. So viele Mails, so viel Spannung.
»Kommt gleich - per Mail«
Frau Junge klopft an, wieder ist jemand am Apparat. »Soll bitte eine Mail schreiben«, nuschel ich gestresst in Richtung Tür, weil ich grad noch einen ganz dringenden Artikel fertigklopfe. Fünf Minuten später kann ich die Spannung nicht mehr aushalten und schaue ins E-Mail-Postfach. stern.de klopft an und fragt jetzt per Mail, wo denn die neue Kolumne bleibt. Ja, ja, ist ja gleich fertig. Und kommt dann - natürlich - per Mail.
Carsten Scheibe