Editorial 148.000 Mann gegen Saddam Hussein

Präsident George W. Bush will den Kopf von Saddam Hussein. Vor allem aus diesem Grund schlucken die US-Streitkräfte immer noch irakischen Wüstenstaub, nehmen demütigende Verluste hin und vernichten täglich 140 Millionen Dollar.

Liebe stern-Leser!

Präsident George W. Bush will den Kopf von Saddam Hussein. Vor allem aus diesem Grund schlucken die US-Streitkräfte immer noch irakischen Wüstenstaub, nehmen demütigende Verluste hin und vernichten täglich 140 Millionen Dollar. Ein Land wie Amerika, das wie kaum eine andere westliche Nation Symbolen huldigt, braucht Hussein tot oder lebendig als Siegestrophäe.

Ihn zur Strecke zu bringen scheint für die 148 000 uniformierten Amerikaner im Irak wichtiger zu sein als die Sorge um ein geschundenes Volk, wichtiger auch als die nachträgliche Rechtfertigung für einen fragwürdigen Krieg, dessen offizieller Grund ein Konstrukt aus Lügen war, das krachend zusammenbrach. Aber Bush klopft sich nur den Staub aus dem Anzug und gibt sich einem Allmachtsgefühl hin, das ihn gegen jede Form der Selbstkritik immunisiert.

Nach dem entmachteten Tyrannen

fahnden im Irak vor allem Spezialeinheiten, darunter eine geheime Task Force. In deren Visier gerieten stern-Reporter Christoph Reuter und Fotograf Thomas Hegenbart, als sie die Trauerfeier für den zwei Tage zuvor ermordeten Scheich Abdullah al-Chattab von Saddams Stamm in dessen Heimatort Ouja beobachteten. Plötzlich rasselten Panzerketten, aus Lautsprechern schallten Befehle: Alle Männer sofort vor die Tür!

Während Schwerbewaffnete das Haus durchsuchten, die Trauergäste drei Stunden in praller Sonne bei 48 Grad standen und CIA-Agenten mitgebrachte Fotos abglichen, wurde auch das stern-Team vorübergehend festgesetzt. Unter den acht festgenommenen Irakern befand sich der aus Bagdad mitgereiste irakische Mitarbeiter des stern, der erst zehn Stunden später nach mehreren Interventionen beim Hauptquartier in Tikrit freigelassen wurde. Anschließend gab es einen Sinneswandel bei der US-Truppe: Die stern-Reporter wurden eingeladen, die Soldaten als "embedded journalists" auf - zumeist nächtlichen - Razzien zu begleiten.

Eine Chance, Saddam Hussein

zu finden, haben die Amerikaner nur, solange sie die alleinige und vollständige Kontrolle über den Irak ausüben. Sollte er gefunden werden, werden sie ihre militärische Präsenz zurückfahren und die Vereinten Nationen in die Pflicht nehmen. Denn kein Präsident der Vereinigten Staaten kann über Monate und Jahre zuschauen, wie beinahe täglich US-Soldaten aus dem Hinterhalt getötet werden. Vor allem nicht, wenn, wie im kommenden Jahr, eine Präsidentenwahl ansteht.

Der Untergrundkampf gegen die US-Besatzer wird auch nach einem Ende Saddams weitergehen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass allein die Tonbandstimme des abgetauchten Tyrannen irakische Heckenschützen und Minenleger motiviert. Es dürfte wohl eher der Hass auf die Amerikaner sein. Dass die Weltöffentlichkeit vom Weißen Haus und der Downing Street belogen wurde, ob vorsätzlich oder leichtfertig, schürt diese Stimmung erst recht.

Ohne den Vorwand, Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen, hätte dieser Krieg wohl kaum begonnen werden können. Diese Lüge ist neuer, dauerhafter Brennstoff für die antiamerikanische Fackel in der arabisch-islamischen Welt. Sie sorgt schlimmstenfalls für neuen Zulauf in die Lager der bin Ladens dieser Welt. Und das macht aus dem militärischen Sieg eine moralische und politische Niederlage.

Herzlichst Ihr Andreas Petzold