Liebe stern-Leser!
Ab heute kann jeder am eigenen Leib erfahren, wie sich die viel gepriesene Agenda 2010 auf unser Gesundheitssystem auswirkt: zehn Euro Praxisgebühr beim Arzt, bis zu zehn Euro Zuzahlung in der Apotheke, zehn Euro für jede einzelne Massage oder sonstige Verordnung, zehn Euro für jeden Tag im Krankenhaus. Und so weiter und so fort.
Da kommen im Jahr rasch ein paar hundert Euro zusammen - mehr, als die Steuerreform den meisten an Entlastung verspricht.
Selbstverständlich sind Reformen notwendig. In Deutschland verschlingt das Gesundheitssystem 230 Milliarden Euro im Jahr - fast elf Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Nicht mehr alles, was medizinisch machbar oder wünschenswert ist, ist auch noch bezahlbar. Erst recht nicht, wenn 30 Millionen versicherte Erwerbstätige auch noch 40 Millionen kostenlos mitversicherte Familienangehörige, Rentner, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger finanzieren. Das funktioniert einfach nicht mehr.
Eine gesetzliche Krankenkasse muss auch nicht Sterbe- oder Entbindungsgeld bezahlen, Potenz- und Haarwuchsmittel erstatten, Taxifahrten zur ambulanten Behandlung oder eine Sterilisation aus rein privaten Gründen.
Ärgerlich an der Gesundheitsreform aber ist, dass sie nur wenige Probleme wirklich löst und fast ausschließlich auf Kosten der Versicherten und Patienten geht. Die so genannten Leistungserbringer kommen weitgehend ungeschoren davon:
Für die Ärzteschaft hat sich außer der Beschwernis, die Praxisgebühr eintreiben zu müssen, kaum etwas geändert. Die Apotheker stehen durch die neue "Beratungsgebühr" teilweise sogar besser da. Die Möglichkeit, noch drei Filialen zu führen, bringt keinen ernsthaften Wettbewerb. Ein "Apotheken-Fielmann", der den Markt aufmischt und die Kosten drückt, ist nach wie vor unmöglich.
Auch die Pharmaindustrie hat keinen Grund zur Sorge. Ihre Lobby hat die so genannten Positiv-Listen verhindert, nach denen nur Medikamente bezahlt werden sollten, die erwiesenermaßen wirksam sind. Das ist nämlich nur die Hälfte der über 40 000 Präparate. Einige Hersteller greifen jetzt außerdem in die Trickkiste: Sie wollen bisher rezeptfreie Medikamente, die künftig nicht mehr erstattet werden, durch eine geringfügige Veränderung der Mixtur verschreibungspflichtig machen, damit die Kassen auch künftig dafür zahlen und die Apotheker weiter mitverdienen. Der einzige Dumme ist der Patient. Er muss alles bezahlen. Dazu mehr in unserer Titelgeschichte über "Die große Abzocke".
Nächste Woche startet der stern eine lange geplante, achtteilige Serie zur Alternativen Medizin. Sie ist gedacht als vorurteilsfreie Einführung in die acht wichtigsten Gebiete: Pflanzenmedizin, Kneipp und Sauna, Traditionelle Chinesische Medizin, Ayurveda, Yoga und Meditation, Homöopathie, Massage sowie Ethno-Medizin.
Wir stellen Therapien und Traditionen vor, die die akademische Medizin teilweise sehr sinnvoll ergänzen können und von Patienten zunehmend geschätzt werden. Für sie sind die weltanschaulichen Grabenkämpfe zwischen "Schulmedizin" und "Alternativmedizin" völlig uninteressant - sie wollen gesund werden. Viele Methoden, zum Beispiel die Akupunktur, haben mittlerweile modernsten Testverfahren standgehalten und ihren therapeutischen Wert bewiesen.
In diesem Sinne: ein gesundes neues Jahr.
Herzlichst Ihr
Thomas Osterkorn