Eigentlich ist die Europäische Union ja eine feine Sache: 25 Länder, 450 Millionen Menschen, 21 Sprachen, mehr als 500 Minoritäten. Grandiose Landschaften, 40000 Kilometer Küsten, wunderschöne Berge. Ein Kontinent der Vielfalt, flächenmäßig halb so groß wie die USA, aber mit fast 60 Prozent mehr Einwohnern. Der größte Binnenmarkt der Welt. Und seit 60 Jahren ein Garant für Frieden, nachdem dort jahrhundertelang Schlachten tobten und zuletzt zwei Weltkriege ihren Ausgang nahmen. Woran liegt es bloß, dass die Idee des vereinten Europas nie richtig bei den Menschen angekommen ist?
Weil ihnen Europa von oben verordnet wurde, weil sie nie wirklich mitbestimmen durften. Das rächt sich nun. Das Nein der Franzosen zur EU-Verfassung ist eine Ohrfeige für ihren selbstherrlichen Staatspräsidenten - und ein lauter Ruf nach mehr Demokratie. Die fast 500 Seiten dicke Verfassung hat den Bürgern keine Hoffnung gemacht, in Zukunft stärker Einfluss nehmen zu können auf das, was in Brüssel passiert. Kein Wunder, dass die Ängste stärker waren, zum Beispiel vor Lohn-Dumping durch "polnische Klempner" als Folge der Osterweiterung. Dass bald auch noch die Armenhäuser Rumänien und Bulgarien und womöglich sogar die islamische Türkei in die EU aufgenommen werden sollen, brachte für viele das Fass zum Überlaufen.
Niemand kann sagen, wie ein Referendum in Deutschland ausgegangen wäre. Eine forsa-Umfrage von Mai zeigt, dass über 80 Prozent der "mündigen Bürger" auch gerne abgestimmt hätten, anstatt dies Bundestag und Bundesrat zu überlassen. 50 Prozent waren für die neue Verfassung, obwohl sie sich schlecht informiert fühlten. Aber wie hätte sich das Bild verändert, wenn bei uns eine echte Diskussion über Europa entbrannt wäre wie in Frankreich oder den Niederlanden?
Das Ja braucht das Nein, um gegen das Nein zu bestehen, sagt der Philosoph Jürgen Habermas. Das heißt: Nur wenn man Argumente austauscht, hat man die Chance zu überzeugen. Genau das muss jetzt in Europa passieren.
Auch über den Euro
durften die Deutschen nie abstimmen. Sie hätten seine 1998 beschlossene Einführung rundweg abgelehnt - und würden das auch heute noch tun. Anscheinend hatten die Bürger da ein besseres Gespür als viele Experten. Denn mittlerweile zeigt sich, dass die Aufgabe der D-Mark kein Segen für Deutschland war. "Der Euro ist mit schuld an vielen Problemen, die unser Land heute hat", sagt stern-Reporter Lorenz Wolf-Doettinchem, im Berliner Hauptstadtbüro für Wirtschaft und Finanzen zuständig. Eine gewagte These?
Der studierte Volkswirt und gelernte Wirtschaftsjournalist wurde auf das Thema aufmerksam durch die wachsende Zahl kritischer Stimmen. So sagt zum Beispiel der ehemalige Thyssen-Chef Dieter Spethmann, ein Top-Manager der alten Schule, inzwischen 79, Rechtsanwalt in Düsseldorf: "Seien wir ehrlich mit dem Euro. Die Einheitswährung ist eine Wachstumsbremse für Deutschland."
Viele Ökonomen, mit denen Lorenz Wolf-Doettinchem sprach, bestätigen dies. Auch bekam der stern-Reporter bei der Recherche Einblick in bisher unveröffentlichte Gutachten und Vermerke aus Ministerien, die zeigen: Ohne Euro würde es uns vielleicht nicht gut, aber deutlich besser gehen. Warum das so ist, lesen Sie in der Titelgeschichte ab Seite 24.