Wer einen Augenblick innehält und an die vergangenen Jahre zurückdenkt, der erinnert sich gewiss an die beschwörende Formel, die von allen Seiten auf der Politik lastete: Wir brauchen endlich Reformen! Reformen! Reformen, bettelte das Land, nicht nur montags, sondern sieben Tage die Woche. Am lautesten die Opposition. Schröders SPD verlor sogar die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen, weil der zaudernde Kanzler 2002 ein fades, rückwärts gewandtes Koalitionspapier mit den Grünen unterschrieben hatte. So ganz nach dem Geschmack der Gewerkschaften.
Nun droht Schröder ein Desaster, weil er, wendig, wie er ist, doch noch das Richtige getan hat. Was ist schief gegangen? Die Wähler glaubten anfangs, Reformen bedeuteten, dass es jedem besser gehe. So schlicht ist das. Aber wenn ein Staat auf dramatische Überschuldung reagieren muss, auf die Überalterung der Gesellschaft, hohe Arbeitslosigkeit und geringes Wachstum, können Reformen nur bedeuten: Jeder hat weniger.
Diese Kernbotschaft, von Beginn an ins Land getragen und ständig wiederholt, hätte Rot-Grün viel Ärger erspart. Liebe Leute, hätte Schröder sagen müssen, der Staat kann nicht mehr jedes Lebensrisiko seiner Bürger absichern. Der Wohlfahrtsstaat wird beerdigt und ersetzt durch einen Sozialstaat, der sich um die blanke Existenzsicherung der Bedürftigen kümmert und ansonsten Steigbügel anbietet, um wieder Arbeit zu finden. Das wäre ehrlich gewesen.
Dass es keinen anderen Weg in die Zukunft gibt, wissen alle Politiker, auch diejenigen von PDS, FDP und CDU, die Hartz IV jetzt verteufeln. Es war doch ein absurder Zustand, dass Langzeitarbeitslose über zwei getrennte, steuerfinanzierte Systeme - Arbeitslosengeld vom Bund oder Sozialhilfe von der Gemeinde - verwaltet wurden. Die Zusammenlegung galt als überfällig, nur so können sich Arbeitsvermittler um alle Erwerbsfähigen kümmern.
Eindeutig: Hartz IV bleibt die richtige Idee, um künftig eine soziale Grundsicherung garantieren zu können. Dagegen helfen auch kein Lafontaine und keine IG Metall.
Allerdings - drei Bausteine in dem Konstrukt passen nicht: Dass Langzeitarbeitslose ihre Altersvorsorge fast auflösen müssen, widerspricht dem Willen der Regierung, den Bürger zur privaten Vorsorge zu ermuntern. Zweitens fehlt ein wirtschaftspolitischer Rahmen, der mehr Beschäftigung schaffen könnte. Drittens: Wer über Jahrzehnte den Höchstbetrag in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt hat, fühlt sich enteignet. Denn im zweiten und dritten Jahr ohne Job drückt Hartz IV das Einkommen in vielen Fällen deutlich unter die bisherige Arbeitslosenhilfe.
Die Menschen im Osten
, wo die Ängste vor dem Jobverlust den Alltag durchsetzen wie Termiten das Holz, haben sich zu DDR-Zeiten das Recht erstritten, auf die Straße zu gehen und ihre Meinung offen zu äußern. Dass sie jetzt an diese Tradidition anschließen, um gegen Hartz IV zu demonstrieren, ist völlig in Ordnung, ein Beleg dafür, dass Demokratie funktioniert (Seite 84).
Der Begriff "Montagsdemo" ist vor allem deshalb so verlockend, weil er eine Erfolgsgarantie vortäuscht. Aber selten gab es eine tiefere Kluft zwischen den Forderungen von Demonstranten und der Möglichkeit, sie zu erfüllen. Wenn diese Reformen weich geklopft werden, bevor sie die Chance bekommen, sich zu bewähren, bleibt Deutschland ein fußkranker Riese mit düsterer Prognose.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold