Wahr ist, die überwältigende Mehrheit der Deutschen folgte Hitler willig in den Untergang. Wahr ist aber auch, es gab Widerstand gegen den Tyrannen. Tausende begehrten gegen ihn auf, Einzelpersonen oder kleine, verschworene Zirkel. Sie warfen Flugblätter, klebten Plakate, halfen selbstlos Verfolgten. Kommunisten und Kirchenmänner waren dabei, Arbeiter und Adlige, Sozialdemokraten und Studenten, und viele von ihnen verband nichts miteinander - außer Mut und einem offenbar unerschütterlichen Gespür für Recht und Unrecht. Zwei Tugenden, die einige von ihnen gar zu dem Entschluss trieben, Hitler zu töten.
Es waren hohe Offiziere der Wehrmacht, die es vor 60 Jahren beinah geschafft hätten, den "Führer" zu ermorden, mitten in seinem scharf bewachten Hauptquartier. "Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer, dummer Offiziere", schäumte Hitler nach dem Anschlag. Männer wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Henning von Tresckow, die ihrem obersten Befehlshaber zunächst willig gefolgt waren, sich dann aber radikal gegen ihn stellten. Zum Teil planten sie jahrelang, verbündeten sich mit der zivilen Opposition. Mehrere ihrer Attentate scheiterten nur knapp.
Sie alle wussten von den Massenverbrechen. Sie wussten, auch sie hatten sich schuldig gemacht. Sie zogen die Konsequenz und planten den Tyrannenmord. Mit ihrer Tat wollten die bürgerlichen und aristokratischen Offiziere ein Zeichen setzen. Das ist ihnen gelungen, auch wenn sich die Attacke als Misserfolg erwies. Als Gesinnungsattentäter hatten sie Moral und Humanität zur Maxime ihres Handelns gemacht, nicht mehr den Fahneneid auf Hitler. Der 20. Juli 1944 gehört daher zum lichtvolleren Erbgut der deutschen Geschichte. Widerstand in einer Diktatur ist immer eine Frage von Leben und Tod. So war es auch den Männern um Stauffenberg bewusst, dass sie für ihre Überzeugung ihr Leben riskierten, doch sie sahen keine andere Wahl.
Der Staatsstreich
, die "Operation Walküre", endete, bevor er begann. Hitler übte fürchterliche Rache. Ließ die Männer grausam hinrichten, ihre Familien in Sippenhaft nehmen, die meisten Kinder der Offiziere steckte die Gestapo in ein eigenes Heim, getrennt von den Eltern.
Für eine Serie über den 20. Juli, produziert anlässlich des 60. Jahrestages, reiste stern-Fotograf Hans-Jürgen Burkard an die Orte des Attentats, ins ehemalige Ostpreußen und nach Berlin, fotografierte auch in der damaligen Hinrichtungsanstalt Plötzensee. stern-Autorin Katja Gloger grub sich durch Augenzeugenberichte und Dutzende Bücher, sprach mit Militärhistorikern und Biografen. Als sie sich auf die Suche nach Zeitzeugen und Angehörigen der Hingerichteten begab, stieß sie zunächst auf freundliche, aber bestimmte Ablehnung. Manchmal schien es, als hüteten sie ein Geheimnis, das sie nicht preisgeben wollten. Es sei doch schon alles gesagt, hieß es oft. Verbittert hatten Angehörige der Verschwörer erlebt, wie Nazis auch in der Bundesrepublik Karriere machten. Bis heute fühlen sich einige Überlebende missverstanden, hüten ängstlich das Erbe ihrer verstorbenen Männer und Väter. Doch schließlich ließen sich die meisten überzeugen - und forderten heraus zu einer Diskussion über Ehre und Gewissen, Schuld und Sühne. "Unsere Männer sind gestorben", sagt Freya von Moltke, die 93 Jahre alte Witwe des hingerichteten Widerständlers Helmuth von Moltke. "Und doch hat sich der Widerstand gelohnt. Denn unsere Männer handelten für die Menschlichkeit."
Auf Seite 44 beginnt die zweiteilige stern-Serie über den 20. Juli 1944.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold