Liebe stern-Leser!
Mit Donald Rumsfeld, dem Herrn über die mächtigste Armee der Welt, ist gut streiten: Bissig, zynisch und notfalls rücksichtslos tritt der US-Verteidigungsminister auf. Deutschland behandelt er herablassend wie einen pubertierenden Jugendlichen, der orientierungslos durch die Welt stolpert und wirre Flausen im Kopf hat, beispielsweise jene, den Irak mit Blauhelmen zu besetzen. Deutschland - ein widerspenstiger, undankbarer Juniorpartner, der Rumsfelds Kriegslogik nicht folgen mag. Das allerdings hängt nicht mit der Unerfahrenheit der deutschen Diplomatie zusammen, sondern mit der leidvollen Erinnerung an unsere deutsche Geschichte.
Beim Stichwort Krieg denken wir zuerst an Millionen von Zivilisten, die unter dem Nazi-Wahn leiden und sterben mussten. Mit einem Krieg gegen Saddam Hussein würde George W. Bush die gesamte irakische Zivilbevölkerung für den menschenverachtenden Diktator in Haftung nehmen. Die Iraker müssten ihre vermeintliche Befreiung aus dem Joch vermutlich mit Tausenden von Opfern bezahlen.
Für die Menschen, die in jenem Landstrich der Welt leben, ist das freilich nichts Neues. Ihre Vorfahren schlagen sich seit Jahrtausenden mit Eroberern herum. Das Land zwischen Euphrat und Tigris ist wie ein Museum der Weltgeschichte - hier hat es alles schon gegeben, bevor Amerika auf der Landkarte erschien: blutrünstige Despoten, mächtige Großreiche, fortschrittliche Regierungen - und jede Menge Kriege mit den Nachbarn. Aber hier schuf der Mensch auch die ersten Städte, entwickelte die Schrift, schlug Gesetze in Stein und bewirtschaftete schon vor 10 000 Jahren fruchtbare Felder.
Es gab Epochen, in denen die Königshöfe wahre Lasterhöhlen waren, aber auch Zeiten des orthodoxen Islam. Und die Kalifen sahen in der Freiheit des Denkens und dem Recht auf Selbstbestimmung nichts weiter als eine Gefahr für Macht und Herrschaft. Diese Tradition hat Hussein ins dritte Jahrtausend gerettet.
Unsere neue Serie "Von Babylon bis Bagdad", die stern-Reporter und Historiker Teja Fiedler geschrieben hat, beschäftigt sich in vier Teilen mit der Geschichte dieses rätselhaften Landes. Dabei wird deutlich, dass der Irak mit westlichen Werten und demokratischen Standards nicht zu befrieden ist. Sobald das Regime seine Macht einbüßt - ob durch Krieg, Exil oder einen Blauhelm-Einsatz -, werden Kurden, Sunniten und Schiiten machtvoll ihre Ansprüche anmelden. Das gilt vor allem für die Schiiten, die fast zwei Drittel der irakischen Bevölkerung ausmachen. Und einem US-Statthalter in Bagdad würde es wohl kaum gelingen, den Islam aus dem Staatsgebilde herauszuhalten. Irgendwo zwischen Saddams blutrünstiger Diktatur und der amerikanischen Präsidialdemokratie muss also ein Weg gefunden werden, wie dieses Land zu sich selbst findet. Solange die Zukunft im Dunkeln liegt, sollte niemand über eine Invasion nachdenken - ganz abgesehen von allen anderen Risiken, die ein Krieg birgt.
Warum die Frage nach der Zukunft des Landes so schwierig zu beantworten ist, versteht man besser, wenn man die Vergangenheit kennt.
Herzlichst Ihr Andreas Petzold