Editorial Jetzt erst mal die Partei retten

Liebe Leserin, lieber Leser,

wäre die jüngste Geschichte der SPD eine Drehbuchvorlage, könnte der Titel lauten "Stirb langsam, Teil V". Nach Scharping, Schröder, Beck, nach Steinmeier ... So sahen es manche Untergangspropheten, befeuert durch die grotesk schlechten Umfragewerte von Partei und Kandidat. Aber hundert Tage vor der Wahl ist ein Trend noch längst kein Ergebnis. Vorsicht also! Die Sozialdemokraten müssen sich allerdings ernsthaft fragen, ob sie die Stimmung der Wähler, vor allem ihrer eigenen, noch richtig erfassen. Der solidarische Reflex "Wir retten jeden Arbeitsplatz, egal, was es kostet" verfängt vielleicht auch deshalb nicht mehr, weil in den vergangenen Jahren das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge in der Bevölkerung gewachsen ist. Da hilft es auch nicht, dass Steinmeier in der "Bild" auf seinen Amtseid verweist, der ihn verpflichte, Schaden vom Volk abzuwenden. Denn da fragen sich Millionen Steuerzahler: Und was ist mit mir? "Arbeit ist besser als Insolvenz!", rief Steinmeier vergangenen Sonntag seinen Genossen zu. Wer wollte das bestreiten. Doch es ist zu simpel, die Sozialdemokraten als DLRG der Marktwirtschaft zu positionieren. Und gefährlich. Sollte aus der Planinsolvenz von Arcandor bis zur Bundestagswahl tatsächlich ein Unternehmen entstehen (oder mehrere) mit einer erklecklichen Zahl von geretteten Arbeitsplätzen, dann hätte funktioniert, was auf der Linie von Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg liegt, aber von der SPD verteufelt wurde.

Und so schaut in dieser verzwickten Lage alles auf Frank-Walter Steinmeier, dem nur ein Weg offensteht: er selbst zu bleiben. Er darf sich nicht drängen lassen, den polternden Schröder zu geben und Sprüchewettbewerbe zu bestreiten. Nein, er muss sachlich-dröge bleiben, verlässlich wirken, mit seiner Erfahrung punkten, den Kompetenten geben, der er ja ist. Seine Partei will Polarisierung im Wahlkampf, gnadenlos, Blutgrätsche gegen Schwarz- Gelb! Und nach seiner kämpferisch-lauten Parteitagsrede sieht es so aus, als täte Steinmeier seiner Partei diesen Gefallen. Mit dampfenden Parolen rief er einen Richtungswahlkampf aus. Es ist aber fraglich, ob das, was die Partei in Schwung bringt, auch den Wähler begeistert. Ritualisierte Wahlschlachten langweilen inzwischen viele. Letztlich wird über die Glaubwürdigkeit von Kandidat und Kanzlerin abgestimmt. Deshalb sollte der eigentlich eher bedächtige Herr Steinmeier sich selbst treu bleiben. Und die Partei muss ihn lassen.

Herzlichst Ihr
Andreas Petzold

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