Presseschau zum Rentengesetz "Alle zwei Monate eine Kanzlerdämmerung ist doch ein bisschen zu viel"

Friedrich Merz CDU, Bundeskanzler, aufgenommen im Rahmen eines Pressestatements nach der Abstimmung über das Rentengesetz
Die Abstimmung über das Rentengesetz wurde zur inoffiziellen Vertrauensfrage für Friedrich Merz. Er hat sie zwar überstanden. Doch der Berg an Herausforderungen für die Koalition ist nicht kleiner geworden
© Florian Gaertner / Imago Images
Nach heftigen Debatten sichert die Koalition ihre Kanzlermehrheit für das umstrittene Rentengesetz. Doch Schwarz-Rot steht noch viel Arbeit bevor. Die Presseschau.

Nach monatelanger Diskussion hat der Bundestag das hoch umstrittene Rentengesetz mit einer absoluten Koalitionsmehrheit beschlossen und damit eine Regierungskrise abgewendet. 318 Abgeordnete von CDU und CSU und SPD votierten mit Ja, 224 Abgeordnete lehnten das Gesetz ab, und 53 enthielten sich. Damit hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sein Ziel der "Kanzlermehrheit" von mindestens 316 Stimmen um zwei Stimmen übertroffen.

Alle 120 SPD-Abgeordneten stimmten für das Gesetz. Von den 208 Parlamentariern der Union votierten sieben mit Nein, zwei enthielten sich, einer war abwesend. AfD und Grüne lehnten das Gesetz wie angekündigt ab. Alle 50 anwesenden Linken-Abgeordneten enthielten sich.

Die Koalitionsspitze zeigte sich anschließend erleichtert. Merz vermied aber großen Jubel und erinnerte daran, dass dies nur ein erster Reformschritt sei. "Das ist nicht das Ende der Rentenpolitik, sondern erst der Anfang", sagte er. Der "erste Schritt in die richtige Richtung" sei gemacht.

"Gewinnerin des Rentenstreits ist Arbeitsministerin Bärbel Bas"

Die Opposition wertete den Rentenstreit dagegen als Zeichen der Handlungsunfähigkeit der Koalition. Merz habe "mit allerletzter Kraft verhindert, dass diese Koalition aus der Kurve gestiegen ist", sagte die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann.

So kommentiert die deutsche Presse die Abstimmung um das Rentengesetz:

"t-online": "Politisch kann sich die durchgestandene Abstimmung damit nur wie ein Sieg mit pappigem Nachgeschmack anfühlen. Was bleibt, ist der Eindruck, der sich schon bei besagten früheren Parlamentspatzern zeigte: In der wohl seit Jahrzehnten geopolitisch angespanntesten Lage, in einer Zeit der gesellschaftlichen Polarisierung wird Deutschlands Regierung von einem hochfragilen Bündnis getragen. Zwölf Stimmen Mehrheit sind eine verdammt dünne Membran zwischen Stabilität und Chaos."

"Münchner Merkur": "Auch jene, die Merz nicht gewählt haben, sollten sich heute ein wenig mit ihm freuen: Der Nikolaus hat ihm bei der Rentenabstimmung die Kanzlermehrheit mitgebracht. Damit bleibt nicht nur dem Kanzler und seiner Regierung, sondern dem ganzen Land der Sturz ins Chaos erspart. Die von Fraktionschef Jens Spahn angekündigte 'Manöverkritik' ist dringend nötig. Denn nach dem Rententheater steht die Koalition wie ein Boxer mit zwei blauen Augen taumelnd im Ring. Abermals hat die Unionsführung es nicht geschafft, die der SPD in die Hand versprochene Mehrheit verlässlich zu liefern. Doch wäre die SPD gut beraten, auch vor der eigenen Tür zu kehren. Bärbel Bas' indiskutabler Auftritt beim Juso-Kongress, ihre Beschimpfung der Arbeitgeber, um sich bei den Parteilinken anzubiedern, wird nachwirken. Sie sollte sich dafür klipp und klar entschuldigen, statt wortreich nach Ausreden zu suchen."

"Ludwigsburger Kreiszeitung": "Die Gegner des Rentenpakets blieben bei ihrer Haltung und stimmten mit Nein – darunter auch Abgeordnete der Jungen Gruppe in der Union. Der fraktionsinterne Druck auf sie war da. Er ging aber nicht so weit, dass sich einzelne Parlamentarier gezwungen sahen, gegen ihre Grundüberzeugung zu stimmen. Fraktionsdisziplin ja, Fraktionszwang nein – auch das ist ein Beleg für eine funktionierende Demokratie. So kann es, so muss es für Merz und die Regierungsparteien weitergehen. Zu sehr wurde in der Vergangenheit gestritten und der Eindruck erweckt, Schwarz-Rot blicke nur auf sich und nicht auf die Menschen im Land."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Weser-Kurier": "Gewinnerin des Rentenstreits ist Arbeitsministerin Bärbel Bas. Sie hat von Beginn an klare Kante gezeigt, hart für das Paket gekämpft und sich durchgesetzt. Alle Kritiker von der Jungen Union bis zu den Arbeitgeberverbänden sind an der gelernten Sozialversicherungsfachangestellten zerschellt. Was oft vergessen wird: In der Rentenfrage weiß die SPD-Chefin die Deutschen an ihrer Seite. Alle Umfragen zeigen, dass eine deutliche Mehrheit eine Absenkung des Rentenniveaus ablehnt. Laut aktuellem ARD-Deutschlandtrend zum Beispiel lehnen 76 Prozent der Deutschen ab, das Rentenniveau auf unter 48 Prozent des durchschnittlichen Einkommens abzusenken. Selbst unter den Jungen, den 18- bis 34-Jährigen, sind noch 57 Prozent dagegen. Insofern: Alles richtig gemacht."

"Nürnberger Zeitung": "Aufatmen ist für die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen angebracht, zurücklehnen aber nicht. Denn die Umfragen zeigen, dass die Debatte vieles erreicht hat, aber nicht, dass das Vertrauen des Wahlvolks in Schwarz-Rot gewachsen oder auch nur gleichgeblieben ist. Im Grunde hat Kanzler Friedrich Merz zum Mittel einer indirekten Vertrauensfrage gegriffen. Union und SPD sollten einige wichtige Schlüsse aus dem Geschehen um das Rentenpaket ziehen.  Alle zwei Monate eine Kanzlerdämmerung ist doch ein bisschen zu viel."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Diese informelle Vertrauensfrage ist von den Abgeordneten der Koalition im Sinne des Kanzlers beantwortet worden, in den Reihen der Union mitunter aber nur mit zusammengebissenen Zähnen. (…) Und auch die Sozialdemokraten, die sich nun rühmen können, das Struck'sche Gesetz – kein Gesetzesentwurf verlässt den Bundestag, wie er hineingekommen ist – außer Kraft gesetzt zu haben, zerfließen nach dem Kampf der vergangenen Wochen nicht vor Bewunderung für die Verlässlichkeit der Union. (…) Nun wird aber um so genauer verfolgt werden, ob der Kanzler und die SPD liefern werden, was sie für das kommende Jahr versprochen haben: eine Reform der Altersvorsorge, die den Namen verdient. Das ist ihre Bewährungsauflage."

"Lausitzer Rundschau": "Die Koalition steht, und Friedrich Merz hat sie, die Kanzlermehrheit. Dass er damit automatisch das volle Vertrauen seiner eigenen Leute hat, sollte er daraus aber nicht ableiten. Im Angesicht russischer Aggression, ukrainischer Verzweiflung und amerikanischer Abwendung auch noch die deutsche Regierung in die Luft zu sprengen, das wollten dann auch die sogenannten Rentenrebellen nicht. Dass ihr Vertrauen in die SPD in der Sache gegen null geht und das in den eigenen Kanzler zu großen Teilen bereits aufgebraucht ist, haben die jungen Unionsleute zu Wochenbeginn sogar schriftlich hinterlassen. Der Druck auf diese Koalition ist auch nach dieser glimpflich überstandenen Woche nicht geringer geworden."

"Handelsblatt": "Das Versprechen der Koalitionsspitzen, im kommenden Jahr werde in die Hände gespuckt und eine große Sozialstaatsreform erarbeitet, ist nichts wert. Die Koalition gibt bislang lediglich Geld aus, ist aber nur begrenzt zu Reformen bereit. Und sie ignoriert die Notwendigkeit, Bündnisse zu schmieden. Die Attacke von Bas gegen die Arbeitgeber bewies das kürzlich. Wer in so schwierigen Zeiten gegen die Unternehmer zu Felde zieht, statt zu versuchen, diese für eine nachhaltige Sozialstaatsreform zu gewinnen, zeigt ungewollt, warum in dieser Koalition kein Fortschritt möglich ist. Mit einem solchen Kurs lassen sich vielleicht Parteitage der Jusos elektrisieren, aber sicherlich keine großen Reformen anstoßen. Der SPD allein die Schuld zuzuschieben, wäre indes zu einfach. Die CSU mit ihrer Mütterrente und die CDU mit der Aktivrente – so ehrenwert die Ideen auch sind, um Rentner zu belohnen – sind Partner bei dem ineffizienten Stückwerk von Reform."

AFP · DPA
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