Streit um Rentenpaket Und plötzlich wird ein zentrales Zugeständnis wieder abgeräumt

Ringen um das Rentenpaket: Matthias Miersch, Fraktionsvorsitzender der SPD, und Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU)
Ringen um das Rentenpaket: Matthias Miersch, Fraktionsvorsitzender der SPD, und Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU)
© Florian Gaertner / Imago Images
Ein mühsam ausgehandeltes Kompromisspapier zur Rente soll doch nicht zur Abstimmung kommen. Die Junge Gruppe ist desillusioniert. Hilfe erhält Friedrich Merz plötzlich von ganz links.

Es gerät manches durcheinander im Rentenstreit in diesen Tagen. Auch im Zentrum der Macht, dem Deutschen Bundestag. Dirk Wiese weiß an diesem Mittwochmorgen offenbar auch nicht so genau, wie er diese neue unangenehme Angelegenheit nun vernünftig erklären soll. 

Erst auf mehrfache Nachfrage weist der SPD-Fraktionsmanager etwas schwammig darauf hin, dass die "Kolleginnen und Kollegen" von der Union "sagen, es ist besser, wir machen’s ohne". Gemeint ist nichts weniger als der mühsam ausgehandelte Zusatzantrag zum Rentenpaket, der den Reformwillen der Koalition festhalten soll.

Die schwarz-rote Koalition wird am Freitag nun doch nicht über diesen Antrag abstimmen. Das ist bemerkenswert, weil der Begleittext als eine Art Brücke gedacht war, der es vor allem der Jungen Gruppe in der Unionsfraktion erleichtern sollte, bei allem Unbehagen über das Rentenpaket doch noch zuzustimmen. In dem Entschließungsantrag – eine Art parlamentarischer Appell – wurden mehrere Prüfaufträge für die noch einzusetzende Rentenkommission festgeschrieben.

Nun ist die Irritation groß, vor allem die jungen Abgeordneten in der Unionsfraktion fühlen sich nach stern-Informationen vor den Kopf gestoßen. Ihnen wurde der Antrag als großer Erfolg verkauft, auch als Entgegenkommen. Nun zeigt man sich desillusioniert und zweifelt auch am Reformwillen der eigenen Leute. Ein junger Abgeordneter sagt: "Ich bezweifle, dass es klug ist, die eigenen Leute auch noch zu demütigen." 

Der Entschluss, über den Entschließungsantrag nun doch nicht im Bundestag abzustimmen, erfolgt in einer höchst angespannten Phase. Am Dienstag hatte eine denkwürdige Sitzung der Unionsfraktion gezeigt, dass die eigene Mehrheit für das Rentenpaket der Bundesregierung heftig wackelt (der stern berichtete). 

Das zumindest hatte sich am Mittwochnachmittag erledigt: Die Linksfraktion will sich bei der Abstimmung am Freitag enthalten. Ohne das Paket würde das Rentenniveau der Deutschen nämlich schon bald sinken. Die Argumentation: Besser ein schlechtes Paket von Union und SPD als gar keines. 

Die Parlamentsmehrheit dürfte Friedrich Merz damit sicher haben. 

Doch der politische Druck bleibt immens. Ein Rentenpaket mithilfe der Linkspartei wäre für den Konservativen und seine Partei eine kaum zu verdauende Peinlichkeit. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Die SPD übt sich daher in Deeskalation in Sachen Entschließungsantrag. Er könne mit beiden Varianten leben, sagte SPD-Mann Wiese am Mittwochmorgen in Berlin, den Entschließungsantrag erachtet er nicht als zwingend notwendig. Die Vereinbarung sei schließlich im Koalitionsausschuss beschlossen worden. Die SPD-Fraktion werde dem Rentenpaket "zu 100 Prozent" zustimmen. "Wir können mit allem leben, was der anderen Seite hilft."

Auch in der Unionsfraktion versucht man die Angelegenheit möglichst herunterzuspielen. "Der Auftrag der Kommission wird genau so formuliert, wie es der Koalitionsausschuss am letzten Donnerstag beschlossen hat", heißt es aus der Fraktionsspitze. "Eine Beschlussfassung des Bundestages braucht es dazu nicht." 

Doch der Hintergrund ist hochpolitisch und lässt Böses für die Arbeit der Kommission erahnen. In der Fraktionsvorstandssitzung der Union am Montag war Kritik am Begleitantrag aufgekommen, vor allem aus dem mächtigen Parlamentskreis Mittelstand (PKM) und von dessen Chef Christian von Stetten. Dessen Zustimmung war zentral für das Rentenpaket. 

In der Union war man verärgert darüber, dass es ein Prüfauftrag in den Text geschafft hatte, wonach künftig auch Kapitalerträge von Renten-Abgaben betroffen sein könnten. Es ging dabei nicht um eine politische Festlegung, sondern um einen von vielen Arbeitsaufträgen für die Expertenrunde. Doch selbst das war in der Unionsfraktion offenbar nicht durchsetzbar. PKM-Chef von Stetten legte ein Veto an. 

Am Dienstag dann bat die Union bei der SPD darum, den Antrag doch lieber nicht zu beschließen. Die Junge Gruppe wurde weitgehend davon überrumpelt. Auch in der Fraktionssitzung am Dienstagnachmittag kam das Thema nicht auf.

Beim Koalitionspartner SPD löste der Vorgang Verwunderung aus. Schließlich sind Entschließungsanträge ein eher symbolischer Akt, handelt es sich dabei um eine Art Appell des Bundestags. Sie verbriefen, wie eine Mehrheit des Parlaments eine bestimmte Frage bewertet und welche Schritte es von der Regierung erwartet. Dieses Verfahren hat Signalwirkung, aber rechtlich verpflichtend ist es nicht.

Weitreichende Prüfaufträge für Rentenkommission

Doch genau diese Signalwirkung ist in diesem Fall nicht zu unterschätzen. In der Zusatzerklärung wurde auf die Rentenkommission verwiesen, die im kommenden Jahr eine grundsätzliche Reform ausarbeiten soll. Ihre Vorschläge für ein Rentenpaket II sollen schon vor der Sommerpause vorliegen, früher als bisher geplant. 

Zudem werden in der Erklärung der Koalitionsspitzen viele andere bisherigen Tabuthemen für SPD und Union angetippt – etwa die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, die Stärkung der privaten Vorsorge, die Ausweitung der Gruppe der Beitragszahler sowie eine neue Höhe des Rentenniveaus.

Das viel grundsätzlichere Problem ist jedoch das tiefe Misstrauen, das einige Unionsabgeordnete hegen – gegenüber dem Koalitionspartner SPD, aber auch der eigenen Führung. Sie sind schlichtweg skeptisch, dass 2026 ein großer Wurf gelingt. "Die Wahrscheinlichkeit einer großen Rentenreform, die genau die Kosten unter Kontrolle bringen wird, auf die der Koalitionspartner jetzt besteht, ist gering", hieß es in einer von der Jungen Gruppe am Montag vorgelegten Erklärung.

PKM-Chef von Stetten brachte es in der Sitzung der Unionsfraktion noch deutlicher auf den Punkt: "Ich werde am Freitag zustimmen, aber das war es dann auch für mich. Mein Vertrauen in den Koalitionspartner ist nach 200 Tagen vollständig aufgebraucht." So berichtet es am Mittwoch die "Bild".

In der Jungen Gruppe fühlt man sich durch das Vorgehen in einem anderen Punkt bestätigt. Auch in den eigenen Reihen, meinen junge Christdemokraten, gebe es kaum Mut zu echten Rentenreformen. Das Problem, sagt einer, sei nicht nur die SPD. "Das Problem sind wir selbst."

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