Nein, sie träume nicht mehr vom Kanzleramt, gar nicht, sagt Angela Merkel am Donnerstagabend im Gespräch mit stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz in der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz. Aber sie erinnert sich gut an ihre 16 Jahre dauernde Amtszeit, an die Zeit davor und kann natürlich auch darüber berichten, wie es ihr heute geht und wie sie auf die aktuelle Weltlage blickt. Die wichtigsten Zitate der Altkanzlerin in der STERN STUNDE im Überblick:
Das sagt Angela Merkel in der STERN STUNDE über ...
... Künstliche Intelligenz: "ChatGPT ist feige. (…) Ich bin neugierig und gucke manchmal und weiß aus diesen wenigen Versuchen, wie ich ChatGPT dazu bringen kann, mir das zu sagen, was ich hören will. (…) Ich finde das einerseits faszinierend, aber andererseits schreit es danach, dass wir Leitplanken einsetzen, dass wir regulieren. Das wird die nächste große Schlacht mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Über die Frage, ob wir digitale Medien regulieren können oder nicht. Und wir werden ganz harten Druck kriegen. (…) Über jede neue Technologie muss der Mensch zum Schluss entscheiden können. Die Kernenergie ist nicht per se schlecht oder gut. Dass Radioaktivität erfunden wurde, hat uns in vielen medizinischen Behandlungen geholfen. Aber ich brauche Regeln, und das wird bei der Künstlichen Intelligenz genauso sein."
… Gleichberechtigung in der Politik: "Wenn ich an Feminismus denke, dann denke ich immer an Alice Schwarzer oder Simone de Beauvoir oder so und da ist mein Weg ja doch ein anderer. Ich habe immer auch auf Kooperation mit Männern gesetzt und dennoch muss ich sagen: Je länger ich im Amt war und je länger ich Politik gemacht habe, desto stärker ist mir doch bewusst geworden, dass sich der Artikel 3 des Grundgesetzes – also Männer und Frauen sind gleichberechtigt – ohne zusätzliche Taten und Aktionen einfach nicht durchsetzt. (...) Und deshalb habe ich zum Schluss (in ihrem Buch "Freiheit"; Anm. d. Red.) geschrieben: 'Ich bin Feministin, aber auf meine Art.' (…) Ich kann jetzt wirklich nicht sagen, weil nach 16 Jahren Kanzlerschaft – Merkel als Frau – mal wieder ein Mann kommt, dass das nun ein Zeichen dafür ist, dass es schon wieder bergab geht bezüglich der Geschlechtergerechtigkeit. Allerdings muss man sagen: Wenn man so manche Koalitionsausschuss-Bilder sieht, freut man sich, dass Bärbel Bas gibt."
… ihre Russland-Politik: "Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich sehr früh wusste, dass Putin keine guten Absichten hatte, zum Beispiel in Bezug auf die Ukraine – um es mal vorsichtig zu sagen. Warum haben wir 2008 bei dem Nato-Gipfel in Bukarest so rumgestritten? Soll die Ukraine den vorletzten Schritt bis zur Mitgliedschaft in der Nato machen? Ja oder nein? Ich war davon überzeugt (...), dass er in dieser Zeit nicht zugucken wird, sondern dass er aggressiv gegen die Ukraine vorgehen wird. Und deshalb wollte ich das nicht. Ich finde es auch richtig, dass wir uns immer und immer wieder bemüht haben, mit Putin zu reden und ja auch Ergebnisse erzielt haben. Ich meine, über das Minsk-Abkommen wird heute sehr hinweggegangen, es hat ja nicht den Effekt gebracht, den man wollte. (…) Das hat immerhin mal eine Zeit lang eine gewisse Ruhe gebracht, in der dann die Ukraine sich auch entwickeln konnte.
Und ich setze mich mit einer Frage auseinander, die findet bisher nicht viel Resonanz, aber vielleicht kommt es ja noch: Was hat Corona eigentlich mit der Außenpolitik gemacht? (…) Man konnte sich mit Putin und Präsident Xi nicht treffen, weil sie panische Angst hatten, infiziert zu werden. (…) Man konnte keine persönlichen Gespräche machen und das hat mir Sorge gemacht. (…) Zum Beispiel hatte sich im Juni 2021 als einzige Ausnahme Präsident Biden mit Präsident Putin in Genf getroffen. Und kurz darauf bin ich zum Europäischen Rat und habe gesagt: 'Das können wir nicht machen, dass wir nicht mit Putin sprechen und das alles den Amerikanern überlassen.'"
… über ihre Klimapolitik: "Wenn ich mich heute frage, wo war vielleicht zu wenig Herzblut, dann nagt am meisten das Thema Klima. (…) Da muss ich sagen: Ich bin dem Vorsorgeprinzip verpflichtet in so einer Frage. Und da bin ich den Ansprüchen nicht gerecht geworden (…) Ich habe den Weg nicht gesehen damals."
… über Einmischungen in die Tagespolitik: "Ich habe an einer Stelle – und das war aus meiner Sicht eine staatspolitisch wichtige Stelle – deutlich gemacht, dass ich es für nicht richtig gehalten habe, in einer unklaren Mehrheitssituation, wie sie nach dem Zusammenbruch der Ampel im Deutschen Bundestag herrschte, kurz vor einer Bundestagswahl, sich Mehrheiten mit der AfD zu suchen."
… über "Wir schaffen das": "Wer das Buch liest, merkt, dass ich schon voll hinter diesem Satz stehe. Auch in dem Sinne, dass ich ja nicht gesagt habe 'Ich schaffe das', sondern: Wir schaffen das. Weil ich glaube, wenn man eine große Aufgabe vor sich hat, so wie wir heute wieder große Aufgaben vor uns haben, kann eine politisch Verantwortliche sich nicht hinstellen und sagen: 'Also ehrlich gesagt: Ob wir das schaffen? Weiß ich nicht, müssen wir mal gucken.'"
… den "Volks"-Begriff der AfD: "Da hat das Bundesverfassungsgericht ganz klar drüber geurteilt: Alle deutschen Staatsbürger sind das Volk. Und ich kann nicht sagen, weil einer vielleicht als junger Mensch nach Deutschland gekommen ist, inzwischen längst die deutsche Staatsbürgerschaft hat, aber vielleicht einen Migrationshintergrund, deshalb ist er etwas anderes wert als jemand, der schon über 20 Generationen hier Vorfahren auf dem heutigen deutschen Territorium hat. (…) Wenn wir deutsche Staatsbürger sind, haben wir das Recht zu sagen: Wir sind Teil des deutschen Volkes. Und die AfD teilt das deutsche Volk auf in ein Volk und in Eliten. Und da habe ich zum Beispiel gar keine Chance mehr, Volk zu sein. Und das dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Wir können nicht die definitorische Hoheit, wer dazugehört und wer nicht dazugehört, irgendjemandem überlassen, der 100 Prozent nicht alle dazugehören lassen möchte."
… ihre ostdeutsche Identität: "Wir waren alle Deutsche, ob man in der DDR aufgewachsen ist oder im Westen aufgewachsen ist. Wir hatten unterschiedliche staatliche Strukturen, damit auch unterschiedliche Gegebenheiten im Leben. Aber alles zusammen macht die heutige Bundesrepublik Deutschland aus. (…) Natürlich ist es viel besser, in einem freiheitlich-demokratischen System aufzuwachsen. Ich wünsche wirklich nicht allen diese Erfahrung. Und trotzdem steht in unserem Buch: 'eine glückliche Kindheit'. Und ich habe das bewusst geschrieben. Weil Leben ist mehr als nur Staat. Leben sind Freunde, Eltern, Geschwister. Und das macht ein gesamtes Leben aus."
… ihr neues Leben: "Ich interessiere mich, je älter ich werde, immer mehr für Geschichte. Und ich mache unglaublich gerne Reisen, meinetwegen nach Italien, nach Florenz, ich war jetzt in Neapel, wo ich einfach die geschichtlichen Dinge noch mal ansehen kann. Mich fasziniert seit meinem ersten Besuch Pompeji. (…) Wie haben die gelebt? Wie waren die Wände tapeziert, wie haben die Brot gekauft, wie hatten die Kneipen? Dass wir so aus einer so langen Geschichte kommen, das fasziniert mich unglaublich. Und dafür habe ich jetzt natürlich mehr Zeit."
... die Merkel-Raute: "Ich mach' sie eigentlich nicht mehr. Es passt nicht mehr so richtig. Was ich immer mehr erlebe, dass Leute neben mir die Raute machen. Da muss ich immer scharf gucken. Das ist immer plagiatsverdächtig."