Editorial Nazi-Terror im Osten: Der Staat muss das Gewaltmonopol zurückerobern

Liebe stern-Leser!

Mügeln - eine Ortschaft macht Schlagzeilen. Keine schönen. Ein Festzelt, Alkohol, "Ausländer raus"-Gebrüll, acht verletzte Inder, vier verletzte Deutsche, vier mutige Polizisten und viele Fragen. Was ist in der Nacht zum 19. August in dem 5.000-Einwohner-Ort geschehen? Sechs stern-Reporter machten sich vergangene Woche daran, das Gestrüpp aus Schweigen und übertriebener Redseligkeit zu lichten, um der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Selbst die Polizei tat sich schwer, verwertbare Zeugenaussagen zu protokollieren. Steckt hinter der anfänglichen Stille im Ort Sympathie für die Täter oder einfach nur Angst? Verständliche Angst vor der Rache der braunen Schläger, wenn man sie durch Aussagen belastet? In einem überschaubaren Ort, in dem jeder leicht auffindbar ist, wäre es schon ein hohes Maß an Zivilcourage, einen Täter mit einer gerichtsfesten Zeugenaussage festzunageln. Die Scheu vor dem offenen Wort mag auch daher rühren, dass viele Bürger im Osten mit der Furcht vor offener Gewalt durch die Rechten leben müssen. Der Staat übt dort in manchen Regionen das Gewaltmonopol nicht mehr aus.

Die staatlichen und privat finanzierten Initiativen gegen rechte Gewalt sind richtig und hilfreich, denn wer weiß, wo wir stünden, hätte es diese engagierten Bemühungen seit 1990 nicht gegeben! Aber es ist in erster Linie die Polizei, die ohne Nachsicht gegen jeden Auswuchs rechter Aggression einschreiten müsste. Weil das in der Vergangenheit nicht überall so richtig geklappt hat, rechnen Rassisten verstohlen mit Milde aufseiten der Ordnungshüter. Sie wittern eine Art Osmose zwischen sich und der Staatsgewalt, eine gefühlte Durchlässigkeit von Gemeinsamkeiten. Das ist zwar überwiegend falsch gedacht, wie das Beispiel der beiden Polizisten in Mügeln zeigt, aber es gibt eben auch Fälle, die ihnen recht zu geben scheinen: Beispielsweise im Juni der blutig-brutale Überfall Rechtsextremer auf eine Theatertruppe in Halberstadt, Sachsen-Anhalt - eine Polizeistreife hatte nach dem Vorfall lediglich die Personalien eines bereits aktenkundigen Schlägers aufgenommen. Später musste sich die Polizeipräsidentin für ihre laxen Beamten entschuldigen, der Einsatzleiter wurde versetzt.

Solche Vorfälle nähren auch den Verdacht, dass die Behörden gegen linke Gewalt entschlossener vorgehen, weil diese sich oft gegen staatliche Einrichtungen, Autos und Häuser von Politikern und Wirtschaftsführern richtet. Der Staat fühlt sich quasi "persönlich" angegriffen. Während Neonazis vorzugsweise Ausländer, Schwule und Linke niedermachen. Das mag etwas simpel klingen, aber der Reflex der Strafverfolger erscheint im Einsatz gegen linken Terror durchschlagender als auf der anderen Seite. Erst wenn die öffentliche Empörung anschwillt, wie jetzt in Mügeln, wird eine Sonderkommission (26 Beamte!) eingesetzt und das Augenmerk vorübergehend auf die rechte Szene gelenkt. Das ist gut gemeint, aber sicher auch ein Placebo für uns, für die Medien. Wichtiger wäre, die Zahl geschulter Polizisten, uniformiert wie auch verdeckt arbeitend, dauerhaft im Osten zu erhöhen. Weder mit einem NPD-Verbot noch mit - begrüßenswerter - Zivilcourage allein lässt sich der braune Mob eindämmen. Der Staat muss sein Gewaltmonopol durchsetzen. Und Neonazis müssen spüren, dass sich die Gesellschaft wehrt, wenn dieses Prinzip infrage gestellt wird!

Herzlichst Ihr

Andreas Petzold

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