Erst drei Jahre ist es her, da veranstalteten die deutsche Botschaft in London und das dortige Goethe-Institut eine Konferenz, um endlich herauszubekommen, wie sich Deutschlands Ruf im Königreich verbessern ließe. Die Verzweiflung muss groß gewesen sein. In der Woche zuvor hatte es wieder einmal ein Dutzend Beiträge in Funk und Fernsehen über Deutschland gegeben - die alle mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hatten. Botschafter Thomas Matussek verwies auf die vorherrschenden Klischees und darauf, dass die meisten Briten über das Leben im heutigen Deutschland kaum etwas wüssten.
Geladen zu der Konferenz waren auch Marketing-Experten, die erklären sollten, wie sich Germany als cooles "Markenprodukt" verkaufen ließe. Die verspielte, moderne, weltoffene Seite der Deutschen, längst zu entdecken in Kunst und Kultur, Mode und Musik, sollte endlich auch das Image der ganzen Nation prägen.
Ob die Konferenz Erfolg gehabt hat, ist unbekannt. Sicher ist, dass Deutschland solche Kampagnen jetzt nicht mehr braucht. Weil es derzeit selbst eine einzigartige produziert.
Das Fußball-Fest geht weiter, und die Deutschen kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus: über sich selbst, weil sie so ausgelassen feiern können wie noch nie und plötzlich stolz sein dürfen auf ihr Land - und jetzt auch über die Ausländer, die Germany auf einmal cool und gastfreundlich finden.
Wir haben zahlreiche Kollegen von ausländischen Zeitungen, Magazinen und Sendern gebeten, ihre Eindrücke zu schildern, die sie während der WM gewonnen haben. "Deutsche, und nicht nur sie, reiben sich verwundert die Augen", meint Roger Cohen, Sonderkorrespondent der "New York Times". "Das Land, dessen Geschichte tiefe Narben hinterlassen hat, erlebt einen Ausbruch von Lässigkeit und Lebensfreude."
Cohen kennt Europa wie kaum ein zweiter US-Journalist. Er hat jüdische Vorfahren, wurde 1955 in London geboren, studierte Geschichte und Französisch in Oxford. Für die Presseagentur Reuters berichtete er aus London, Brüssel und Rom, für das "Wall Street Journal" aus Italien und Südamerika, für die "New York Times" leitete er die Kriegsberichterstattung in Bosnien, war er Korrespondent in Paris und Büroleiter in Berlin während Wende und Wiedervereinigung. Seit 2001 lebt er nun in New York und wurde erst kürzlich US-Bürger.
Roger Cohen hat die Hoffnung, dass die durch die WM ausgelöste psychologische Befreiung auch Deutschlands Selbstbild verändert: weg von einem Deutschsein, das sich auf Stammbäume gründet - hin zu einer multiethnischen Realität. "Das ist lange überfällig."
Den runden Button
mit der Aufschrift "I love Germany", der auf dem Titelbild und den anderen Seiten zu sehen ist, hat Michel Lengenfelder aus der stern-Titelgrafik am Computer entworfen. Wer möchte, kann ihn gern kopieren oder direkt hier in passender Größe herunterladen.
Herzlichst Ihr
Thomas Osterkorn