Editorial Orientierung im Dschungel der Medizin

Liebe stern-Leser!

Stellen Sie sich vor, Sie müssen an der Gallenblase operiert werden oder am Knie: Sie gehen ins nächstbeste Krankenhaus und wissen nicht, dass dort ziemlich oft etwas schiefgeht. Und stellen Sie sich dann vor, ein paar Kilometer weiter gibt es eine Klinik, in der viel besser operiert, betreut und gepflegt wird - aber Sie erfahren das nicht. Diese ärgerliche und bisweilen sogar lebensgefährliche Geheimnistuerei ist Realität im deutschen Gesundheitswesen. Es mangelt an Transparenz und Wettbewerb. Zwar gibt es inzwischen Qualitätsberichte der Kliniken. Aber kaum ein Patient kennt sie - oder versteht sie. Abhilfe schaffen sollen Online-Klinikführer, die solche Informationen für den Laien sammeln, übersetzen und mit weiteren Daten anreichern. Ein besonders ambitionierter Krankenhaus-Wegweiser startet in dieser Woche: die "Weisse Liste". Grafikdesigner, Programmierer und Mediziner haben gemeinsam mit sechs Patientenorganisationen und der Bertelsmann Stiftung ein Klinik-Portal im Internet geschaffen, das sogar mit Laien-Suchbegriffen wie "Ziegenpeter" etwas anfangen kann. In unserer Titelgeschichte beschreibt Medizinredakteurin Astrid Viciano, selbst promovierte Ärztin, dieses und andere Projekte - und schildert den zähen Kampf um die Freigabe der Qualitätsdaten (Seite 88).

Es gibt unzählige verwirrte und verstörte Menschen in diesem Land, die Regierungen, Gerichte und auch Redaktionen mit Eingaben bombardieren. Aber niemand ist so aktiv wie Klara Berg, deren Name wir zu ihrem eigenen Schutz geändert haben. Fast jeden Tag gehen bei der Bundeskanzlerin, dem Innenministerium und der Generalbundesanwältin Mails von ihr ein. Es sind Hilferufe: Klara Berg ist überzeugt, dass sie von Geheimdiensten, Mafia, al Qaeda, Stasi, deutschen Politikern und Anwälten gejagt wird. stern-Redakteur Bernd Volland hat die Frau immer wieder getroffen und begleitet, was manchmal schwierig war, weil sie auch ihn zwischenzeitlich für einen Mafia-Schergen hielt. Volland sprach außerdem mit einigen ihrer alten Weggefährten und einem Psychiater. Er beschreibt die Tragödie einer Frau, für die der Irrsinn Realität ist - und umgekehrt (Seite 44).

Rechtzeitig vor dem Start der Fußball-EM reisten stern-Autorin Stefanie Rosenkranz und der Fotograf Andri Pol kreuz und quer durch dessen Heimat, das Gastgeberland Schweiz, und versuchten zu ergründen, was für seltsame Menschen dort wohnen und warum sie die Deutschen nicht leiden können. Dabei ließen sie kaum ein Klischee aus: Auf dem Jungfraujoch atmeten sie tief den Geruch von Curry ein und beobachteten begeisterte Inder, die sich in 3454 Meter Höhe im Restaurant "Bollywood" verköstigten und gekonnt im Sari über den ewigen Schnee spazierten. Am Ende war auch die stern-Autorin überzeugt: "Die Schweiz ist fast zu schön, um wahr zu sein. Und es gibt nichts, was die Schweizer nicht besser könnten als wir - außer Fußball spielen." Die Fotoreportage beginnt auf Seite 60.

Herzlichst Ihr
Thomas Osterkorn

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