Editorial Spitzel im Auftrag der Firma

Liebe Leserin, lieber Leser,

in heutigen Zeiten kennen einige Firmen offensichtlich kaum noch Tabus, wenn es darum geht, bei Mitarbeitern nach Kündigungsgründen zu suchen. Interne Überwachungsprotokolle, die uns zugespielt wurden, zeigen ein erschreckendes Bild: Da ließen Pharmaunternehmen ihre Außendienstler von Detektiven beschatten und zwei Chemiefirmen einfache Angestellte bespitzeln, die krankgemeldet waren. stern-Reporter Johannes Röhrig, dem Dutzende solcher Observationsberichte vorliegen, hat in diesem Graubereich der Arbeitswelt recherchiert und festgestellt: Im Einzelfall können solche Aktionen vielleicht begründet sein; sehr oft gehen sie aber zu weit. Erst im vergangenen Jahr hatte der stern aufgedeckt, dass der Discounter Lidl seine Mitarbeiter in den Filialen per Video heimlich überwachen ließ. Dann brachten stern-Recherchen ans Licht, dass die Deutsche Bahn ihre Belegschaft einer unzulässigen Rasterfahndung unterzog. Jedes Mal gab es einen Aufschrei der Empörung und den Ruf nach einem speziellen Datenschutzgesetz für Arbeitnehmer. Passiert ist nur wenig. Verstöße werden weiter nur als Ordnungswidrigkeit geahndet - so ähnlich wie Falschparken.

Der Ort, an dem sich Tony Blair mit dem stern zum Interview verabredet hatte, war ein bisschen unglücklich gewählt: Penn Station in New York ist ein wuseliger Bahnhof in der Nähe des Madison Square Garden. Erst hatten unsere Kollegen Cornelia Fuchs und Hans-Hermann Klare Mühe, Großbritanniens ehemaligen Premierminister zwischen all den Pendlern zu finden. Dann taten sie sich schwer, an seiner Seite zu bleiben. Mögen sich Amerikaner sonst kaum für europäische Politiker interessieren, Tony Blair ist immer noch populär. Die Menschen in Penn Station umringten ihn, wollten ein Handy-Foto von ihm machen oder ein Bild gemeinsam mit ihm. Seine Leibwächter hatten alle Hände voll zu tun. "Es ist schon merkwürdig", sagte Tony Blair, als er mit den beiden stern-Redakteuren schließlich im Abteil eines Zuges nach Philadelphia Platz genommen hatte, "obwohl ich seit zwei Jahren aus dem Amt bin, erkennen die Menschen immer noch mein Gesicht." Dann sprachen sie über Lügen im Irak-Krieg und sein neues Leben nach Downing Street Nr. 10.

Herzlichst Ihr
Thomas Osterkorn

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