Noch immer liegt der amerikanische Präsident in den Umfragen nahezu gleichauf mit seinem demokratischen Herausforderer John F. Kerry. Wie ist das möglich, wo doch vergangene Woche quasi amtlich verkündet wurde, dass die US-Regierung ihr Volk und den Rest der Welt belogen hat? Wir wissen zwar längst, dass die Gründe für den Irak-Krieg schlicht erfunden waren. Es gab keine Massenvernichtungswaffen, die jahrelangen Kontrollen der UN-Inspekteure hatten ganz offensichtlich gewirkt. Das bescheinigte jetzt auch der von der CIA (!) bestellte Chefinspektor Charles Duelfer dem Streitkräfteausschuss des Senats. Tage zuvor hatte schon Kofi Annan klargestellt: "Der Irak-Krieg war illegal!" Und US-Verteidigungsminister Rumsfeld rutschte vergangene Woche versehentlich die Wahrheit über die angebliche Verbindung zwischen bin Laden und Saddam Hussein heraus: "Soweit es mir bewusst ist, lagen mir keine starken, harten Beweise für eine Verbindung zwischen den beiden vor.“
Dennoch - die Hälfte
der Amerikaner verschließt die Augen vor der Tatsache, dass mehr als 1000 GIs nicht im Kampf gegen den Terrorismus gefallen sind, sondern für die aggressive Ideologie einer Gruppe Neo-Konservativer im Weißen Haus. Fakten anzuerkennen würde für viele bedeuten, Fehler einzugestehen. Dazu ist das Land in weiten Teilen nicht bereit. Vor allem dort, wo Gottesfürchtigkeit das vernünftige Denken ersetzt. Viele Amerikaner wollen genau diesen Bush und das, was er tut. Ihnen wird die Geschichte die Schuld daran geben, wenn Bush im Oval Office bleibt, wenn er sich als Nächstes den Iran vorknöpft, wenn er den Islamisten als ideales Feindbild erhalten bleibt.
Unsere Reportage
"Das gespaltene Land" (Seite 84) zeigt, wie unversöhnlich sich Bush-Anhänger und Kerry-Fans gegenüberstehen. Demokraten reagieren auf den Präsidenten mit einer nie da gewesenen Abscheu. Sie verurteilen seine Kriegspolitik, die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten durch den Patriot Act, die Überbetonung der Religion und Bushs ganze Art, die eines besessenen Cowboys aus Texas. Republikaner verdammen Kerrys liberale Haltung zur Abtreibung, seine Nähe zu Europa und seine ganze Art, die eines distinguierten Patriziersohnes des Nordostens. Für unseren Bericht ließen sich Anhänger beider Lager von dem Fotografenpaar Monika Fischer und Mathias Braschler ablichten. Die reisten dafür 30 000 Kilometer durch 40 Bundesstaaten - und stießen mitunter auf Vorbehalte: Bevor die beiden einen Pastor in Georgia vor die Kamera bekamen, mussten sie an seinen "bible studies" teilnehmen. "Und anschließend", sagt Braschler, "eine adäquate Interpretation abliefern." Dann fanden sich die Fotografen als Ehrengäste im Gottesdienst wieder.
Mit den Porträtierten sprach stern-Korrespondent Jan-Christoph Wiechmann. In seinen Notizen finden sich weitere Beispiele für den missionarischen Eifer der Republikaner: "Eine Frau aus Colorado wollte unbedingt, dass ich mich für die Wahl als Republikaner registrieren lasse. Sie war ganz überrascht, als sie hörte, dass Deutsche in Amerika nicht wählen dürfen."
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold