Das Bild, das Kommentatoren nach Heiligendamm malten, sah in etwa so aus: US-Präsident Bush, der mächtigste Mann der Welt, kauerte irgendwann wie ein geprügelter Hund in der Ecke und musste sich den heroischen G-8-Umweltaktivisten (Merkel, Blair, Sarkozy) ergeben. Was der deutschen Kanzlerin mehrere Superlative einbrachte: als "Miss World" und sogar als "Weltregierungschefin" wurde sie in Presseberichten gefeiert. Bei allem Respekt vor dem politischen Verhandlungserfolg - geht es nicht eine Nummer kleiner? Nüchtern betrachtet, hat George W. Bush nur deshalb auf Grün gemacht, weil es innenpolitisch angezeigt ist. Im nächsten Jahr wird ein neuer Präsident gewählt. Bush folgt deshalb lediglich der Stimmungslage in den USA, und die hat nichts mit seinen politischen Präferenzen oder gar Überzeugungen zu tun: Die überwältigende Mehrheit der Amerikaner (84 Prozent) glaubt, dass die Erderwärmung ein hausgemachtes Problem ist. In keinem anderen Bereich ist sich die Nation derart einig. Selbst die Evangelikalen, an sich Bushs treueste Klientel, fordern dringend ein Umdenken. Das Evangelical Environmental Network (EEN) betreibt sogar eine Internetseite unter dem Titel "What would Jesus drive?" (Was würde Jesus fahren?)
Spätestens seit Hurrikan "Katrina" sind die Amerikaner für den Klimaschutz sensibilisiert. Und sie denken um. Al Gores Buch und sein Oscar-prämierter Dokumentarfilm über die Folgen des Klimawandels waren keine Zufallserfolge. Längst fahren diverse Bundesstaaten ihre eigene Energiepolitik und sagen sich von Washington los. Vorreiter ist Kalifornien unter Arnold Schwarzenegger, Republikaner von Haus aus, Grüner im Herzen. Schwarzenegger nannte Washingtons zurückhaltende Position zuletzt sogar peinlich. Der Treibhausgas-Ausstoß im bevölkerungsreichsten US-Staat liegt pro Kopf nicht mehr höher als der Dänemarks. Im Spätsommer 2006 verabschiedete Schwarzenegger ein Gesetz, das Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 25 Prozent reduzieren soll. Der populäre Gouverneur einigte sich obendrein mit Großbritanniens Premier Tony Blair auf eine enge Kooperation in Umweltforschung und -technologie. Das wäre an sich Aufgabe des Präsidenten gewesen. Kein Wunder mithin, dass die "New York Times" vergangene Woche auf ihrer Meinungsseite "Wo ist Euro-Arnold?" fragte und ihn als Botschafter des anderen, des ökologisch bewussten Amerika nach Heiligendamm gewünscht hätte.
Eine ganze Reihe weiterer Bundesstaaten, vornehmlich im eher liberalen Nordosten, hat sich Kaliforniens Beispiel angeschlossen. Das sind klare Signale Richtung Hauptstadt. Bush konnte also kaum anders, als zähneknirschend dem Abschlussdokument zuzustimmen. Er hätte sich andernfalls zu Hause blamiert. So hat Bushs grüne Wende dort auch niemanden überrascht. Nicht sie, einzig der erneute Knast-Einzug von Paris Hilton war CNN "breaking news" wert. Egal, wer im kommenden Jahr zum US-Präsidenten gewählt wird, ob Demokrat oder Republikaner: Der neue Amtsinhaber wird Klimaschutz ganz oben auf die Agenda setzen müssen. Die Amerikaner wollen es so.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold