Ein Auslandspraktikum als Karrierebaustein?
Ein halbes Jahr ist es geworden. Ein halbes Jahr, in dem Ulrich Hermanski nicht wie sonst jeden Tag in der Freien Universität BWL studierte, sondern jeden Tag mit dem Fahrrad oder der Rikscha zu seiner Arbeitsstelle in einem Projekt des Salisianer Ordens fuhr. Sechs Monate lebte er in Bangalore, der High-Tech-Stadt im Süden Indiens. Eine Zeit, in der er lernte, auf vieles zu verzichten und doch mehr dazu gewonnen hat.
Für viele Studenten ist es inzwischen ein Muss, sich während des Studiums nicht nur Fremdsprachenkenntnisse anzueignen, sondern nebenbei auch noch praktische Arbeitserfahrung zu sammeln. Kaum einer vertraut noch darauf, nach Studienabschluss sofort und ohne vorweisbare Arbeitserfahrung einen Arbeitsplatz zu bekommen. Hinzu kommt, dass die jüngere Generation möglichst flexibel zu sein hat. Besser ist eben der dran, der diese Flexibilität schon bewiesen hat. So sind immer mehr Studenten daran interessiert, ihre Praxiserfahrungen mit Auslandsaufenthalten zu verbinden. Bei nicht wenigen kommt mit Sicherheit noch die Neugier einer Generation dazu, für die die Welt »kleiner« als je zuvor ist. Warum also nicht die Anforderungen der Wirtschaft kombinieren mit dem Wunsch, andere Länder und Kulturkreise kennen zu lernen.
Häufig sind es die wirtschaftswissenschaftlichen Studenten oder angehende Ingenieure, die sich bereits vor Studienabschluss im Ausland umtun, weniger die klassischen Geisteswissenschaftler. In diesem Zusammenhang hat sich auch die Priorität der Zielländer in den vergangenen Jahren etwas verschoben. Standen lange Zeit die USA ungeschlagen an erster Stelle der Wunschliste vieler Praktikanten, so fahren jetzt immer mehr Studenten für ein Praktikum in asiatische Länder.
Der Alltag in einem anderen Kulturkreis ist jedoch nicht immer das, was man sich erhofft hat. Oft treten Probleme dort auf, wo man sie am wenigsten erwartet hat. Ulrich Hermanski musste sich einhören. Das indische Englisch ist fast eine Kunst für sich. Ein Zimmer für sich hatte er - mit Bad - das ist mehr als viele indische Familien haben. Seine morgendliche Fahrt ging durch einen Slum, vielleicht machte es das einfacher, auf gewohnten Komfort von zu Hause zu verzichten. Er hat sich dieses Praktikum selbst organisiert, mit viel Ausdauer und Willen.
Inzwischen gibt es allerdings auch einige Organisationen, die Studenten helfen und auch Praktikumsplätze vermitteln. Dazu gehören vor allem die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV), der Council on International Educational Exchange (CIEE), sowie die alteingesessene Carl Duisberg Gesellschaft. Aber auch studentische Organisationen wie zum Beispiel AIESEC, IAESTE oder ELSA rücken immer mehr ins Blickfeld.
Über IAESTE kam die Chemiestudentin Catharina Klanner an ein zweimonatiges Forschungspraktikum an der Technischen Universität in Helsinki. So wie Ulrich Hermanski brachte es ihr nicht nur die Erfahrung, sondern auch Orientierung in ihrem Studiengebiet. Nicht selten fallen nach solchen Praktika Entscheidungen über das angestrebte Berufsfeld leichter. Ulrich Hermanski hat sich für den Bereich Entwicklungshilfe entschieden und sich in Deutschland daraufhin auch eine Universität mit diesem Schwerpunkt gesucht. Doch nicht immer sind die Erfahrungen ausschließlich positiver Art. Allein die Organisation kann ein langer Weg sein, der genaue Planung benötigt und den man nicht unterschätzen sollte. Im Land selbst sind es oft viel eher Anpassungsschwierigkeiten. In manchen Fällen ist der Unterschied zur gewohnten Arbeitsmentalität groß.
Studenten, die bei ausländischen Dependancen deutscher Firmen oder Institute unterkommen, haben es in dieser Hinsicht einfacher. Betriebsorganisation und Arbeitseinstellung sind oft durch gewohnte Strukturen geprägt. Ein Praktikum in einem gänzlich einheimischen Betrieb stellt oft noch höhere Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit der Praktikanten. Unterschätzen sollte man diese nicht. Ulrich Hermanski verlor bereits auf dem Hinflug sein Gepäck. Spätestens da wurde ihm klar, dass auch die Realität in Indien noch ganz anders sein würde, als er sich das gedacht hatte. (kl)