Liebe Frau Peirano,
Ich bin in der schlimmsten Situation, die ich mir überhaupt vorstellen kann und ich weiß nicht weiter! Mein Leben ist ein großes Chaos. Ich bin im siebten Monat schwanger und habe herausgefunden, dass mein Mann mir vorgelogen hat, dass er einen gut bezahlten Job hat. In Wirklichkeit verdient er kein Geld und hat einen riesigen Aufwand betrieben, um mir etwas vorzumachen. Vor ungefähr sechs Wochen hat eine Freundin von mir ihn vormittags in einem Fünf-Sterne-Hotel beim gemütlichen Kaffeetrinken "erwischt" und ihn gefragt, was er da macht. Er wurde verlegen und hat nach einem Vorwand gesucht, und sie hat mir davon erzählt und so flog alles auf. Plötzlich kamen mir auch andere Dinge in seinem Leben sehr verdächtig vor.
Ich muss dazu sagen, dass mein Mann Engländer ist und wir uns nur auf Englisch unterhalten. Ich spreche nicht sehr gut Englisch. Als ich ihn vor drei Jahren kennenlernte, stellte er sich als beruflich erfolgreich und weit gereist dar. Er ist 1,90 und ein imposanter Typ, mir gefiel er auf Anhieb. Er zog dann zu mir in meine kleine Wohnung und suchte einen Job. Das gestaltete sich schwierig, da seine Referenzen nicht in Ordnung waren. Er fuhr aber trotzdem jeden Tag mit meinem Auto - wie ich jetzt weiß - planlos durch die Gegend, angeblich auf Jobsuche. Wir mussten stark rechnen, da er eine Steuerrückzahlung zu leisten hatte. Trotzdem ging er öfter ins Grandhotel, um den Tag mit einem Whiskey oder teurem Kaffee totzuschlagen. Ich habe in der Zeit gearbeitet und nebenbei studiert, wir lebten trotzdem weitgehend auf meine Kosten. Er vertröstete mich und sagte: Wenn ich wieder eine Anstellung habe, dann kannst du dich auf dein Studium konzentrieren und brauchst nicht mehr zu arbeiten. Dann ziehen wir auch aus diesem "Dump" (englisch für "Loch") aus (so nannte er meine eigentlich ganz hübsche und von mir liebevoll eingerichtete Zweizimmer-Wohnung).
Ich wurde immer nervöser, weil die Jobsuche so schwierig war. Wir stritten ab und zu, weil ich von ihm verlangt habe, erst mal irgendeinen Job anzunehmen, damit wir wieder Geld haben. In dieser Zeit wurde ich auch schwanger. Wir wollten sowieso Kinder, ich war 34 und wollte nicht mehr zu lange warten, und obwohl die Situation nicht optimal war, haben wir es drauf ankommen lassen.
Kurz nachdem ich ihm gesagt habe, dass ich schwanger bin, fand er dann auch einen Job. Das sagte er, jetzt weiß ich, dass es nichts als eine Lüge war. Allerdings war einiges komisch: Sein Büro wurde angeblich gerade renoviert und ich konnte ihn auf dem Festnetz in der Firma nicht telefonisch erreichen. Als dann kein Gehalt einging, erfand er immer neue Ausreden. Das konnte er sehr gut. Unsere Sprachschwierigkeiten kamen ihm dabei zugute.
Und dann bekam ich den Anruf von meiner Freundin, die ihn beim Kaffeetrinken im Grandhotel gesehen hat. Ich stellte ihn noch an dem Abend zur Rede, und er gab alles zu. "Ich wollte dich schützen", war seine Erklärung. Ich bekam eine Panikattacke und war einige Tage im Klinikum. Danach wurde ich aktiv und habe mit ihm zusammen (heimlich in meiner Firma, dabei habe ich meinen Job riskiert) bis zu 500 Bewerbungen eingetütet. Der Sicherheitsdienst in meiner Firma ist uns fast auf die Schliche gekommen, das hätte dann zu einer fristlosen Entlassung trotz Mutterschutz geführt.
Es sieht jetzt so aus, als wenn mein Mann bald einen Job in einer anderen Stadt bekommt. Allerdings braucht er dann ein größeres Auto und ein Zimmer in der anderen Stadt, wenn er abends länger arbeitet. Ich bin nach dieser Geschichte völlig fertig. Ich habe immer noch Panikattacken, wenn ich an etwas erinnere, das mit seinem Job zu tun hat. Mein Vertrauen ist weg. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich ihm überhaupt vertraut habe, aber wem soll man vertrauen, wenn nicht seinem eigenen Ehemann? Was soll ich jetzt machen?
Meine Freundinnen sagen, ich soll mich von ihm trennen. Sie finden, dass mein Mann ein Lügner und Hochstapler ist. Ich bin völlig ratlos.
Liebe Grüße
Sonja
Liebe Sonja,
ich kann mir bei Ihrer Geschichte vorstellen, dass es das Schlimmste ist, was Sie je erlebt haben. Sie sind schwanger und damit in einer Situation, in der Sie Ruhe brauchen, um sich auf Ihr Kind vorzubereiten und zu freuen. Die Lügengeschichte, die Ihr Mann Ihnen aufgetischt hat, ist massiv und hat Sie in den Grundfesten Ihrer emotionalen und auch wirtschaftlichen Existenz erschüttert. Denn jetzt ist bei Ihnen alles durcheinander, und Ihr Kind wird in einer völlig ungeordneten Situation geboren. Kein Wunder, dass Sie da gerade nicht mehr wissen, wo Ihnen der Kopf steht!
Sie stecken mitten in einer Krise. Und deshalb möchte ich Ihnen das raten, was Engländer schon lange über Krisenzeiten wissen: Keep calm and carry on.
Versuchen Sie, so gut es geht, Ihre Ruhe wiederzufinden. Konzentrieren Sie sich nur auf das Wichtigste, und das ist zweifelsohne Ihre Gesundheit und damit auch die Ihres Kindes. Alles andere ist im Moment zweitrangig und muss warten.
Sie haben jetzt noch zwei Monate bis zum Geburtstermin. Ich rate Ihnen, dass Sie sich genau überlegen, wo und wie Sie die Zeit bis zur Geburt Ihres Kindes verbringen können. Wenn Sie in Ihrer Wohnung zu viel Streit oder zu viele Problemgespräche mit Ihrem Mann haben, würde ich Ihnen raten, dass Sie sich vorübergehend räumlich trennen. Wenn er nicht auszieht, überlegen Sie, ob Sie eine Weile bei Freunden oder Ihren Eltern unterkommen können.
Machen Sie Ihrem Mann am Besten unmissverständlich klar, dass Sie jetzt Ruhe und einen sicheren Ort brauchen. Denn wenn Sie jetzt Angst haben oder unter Stress stehen, kann das Ihr ungeborenes Kind belasten. Vereinbaren Sie also mit Ihrem Mann Spielregeln für die Zeit vor und die ersten Monate nach der Geburt, z. B. , dass Sie sich im Alltag nicht über seine Jobsituation unterhalten oder in welches Zimmer sich jeder zurückziehen kann. Versuchen Sie bewusst, die Probleme mit Ihrem Mann nicht jetzt zu lösen. Sie brauchen jetzt keine Grundsatzentscheidung zu treffen und Sie müssen jetzt auch nicht sagen, ob Sie nach dem Vertrauensbruch länger mit ihm zusammen sein können. Versuchen Sie, erst einmal nur bis zur Geburt zu denken.
Allerdings würde ich Ihnen raten, dass Sie sich jetzt schon bei einem Paartherapeuten anmelden, da die Wartezeiten oft sehr lang sind. Die Lügen Ihres Mannes sind gravierend, und es ist sehr wichtig, dass Sie beide sich intensiv damit auseinandersetzen und auch in Ruhe entscheiden, ob Sie das Vertrauen wieder aufbauen können. Aber im Moment ist es aus meiner Sicht der falsche Zeitpunkt, denn das alles würde Sie zur Zeit noch mehr aufwühlen und beunruhigen.
Konzentrieren Sie sich am Besten auf den Moment. Das heißt konkret:
Fragen Sie Ihre Frauenärztin um Rat, wie Sie sich und Ihr Kind am Besten schützen können.
Versuchen Sie, Ihre Tage so zu planen, dass es Ihnen wieder gut geht und Sie Kraft tanken können. Gehen Sie regelmäßig spazieren, schlafen Sie genügend und essen Sie regelmäßig. Verabreden Sie sich mit Freundinnen und Freunden, am Besten mit denen, die mit beiden Füßen auf dem Boden stehen und Sie zurzeit gut beruhigen können. Versuchen Sie, sich abzulenken und Normalität zu finden. Es ist nicht immer das Beste, pausenlos über seine Probleme nachzudenken oder zu sprechen. Manchmal ist es in einer Krise viel hilfreicher, wenn Sie sich konzentriert mit Ihrem Alltag beschäftigen und zum Beispiel etwas Gutes für sich kochen, Babysachen besorgen oder Filme sehen, um sich abzulenken. Es geht ja nicht darum, die Probleme ganz zu verdrängen oder zu verleugnen, sondern um eine Auszeit, in der Sie sich wieder sammeln können. Achten Sie darauf, bei welcher Aktivität Sie am besten abschalten können. Viele Menschen können das beim Beisammensein mit Freunden, andere bei der Gartenarbeit oder beim Sport.
Wenn das Baby da ist und Sie die ersten Wochen und Monate überstanden haben, können Sie sich in Ruhe mit Ihrem Mann auseinandersetzen und unmissverständlich klarstellen, dass in Ihrem Leben kein Raum mehr für die geringste Lüge ist. Ich bin sicher, dass sich irgendwann für alles eine Lösung finden wird.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
Liebe Leserinnen und Leser,
ich bin in diesem Blog sehr an Ihren eigenen Geschichten, Erfahrungen und Gedanken interessiert. Der Blog lebt von dem Austausch, und ich bin Ihnen dafür sehr dankbar.
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Herzliche Grüße
Julia Peirano