Sehr geehrte Frau Dr. Peirano,
Ich bin 35, geschieden und habe 2 Kinder. Seit zwei Jahren habe ich einen neuen Freund, der allerdings einige Jahre jünger ist. Unser gemeinsamer Weg ist sehr steinig. Er verstand sich oft nicht mit seiner Familie, brach sein Studium ab, hatte keinen festen Job. Irgendwann stand er mit seinen Sachen vor meiner Tür und fragte, ob ich ihn aufnehmen kann. Natürlich wollte ich ihm helfen. Ich habe ihn mietfrei bei mir wohnen lassen und auch Lebensmittel und sogar Pflegeartikel für ihn bezahlt. Er hat nicht einmal gefragt, ob er mich finanziell unterstützen könnte. Er hatte ja wenig verdient und sich ständig dafür entschuldigt, dass er mir nichts bieten kann. Ich schmiss alleine den Haushalt, versorgte die Kinder, kochte und wusch die Wäsche. Ich führte ihn zum Essen aus und überraschte ihn mit Kinokarten, er war immer dankbar und glücklich.
Ich bin ein Mensch der Nähe gern mag, Wärme, liebevollen Umgang. Er ist eher distanziert und kann seine Gefühle auch nicht äußern. Ich habe z.B. noch nie "ich liebe dich" gehört.
Ich verlor langsam die Hoffnung, dass er von alleine bemerkt, wie einseitig unsere Beziehung ist. Deshalb stellte ich ihn zur Rede. Ich sagte, dass ich nicht mehr alles alleine finanzieren will und dass er einen Teil der Haushaltspflichten übernehmen soll. Ich sagte, dass ich nicht nur Filmeabende auf dem Sofa haben will, sondern etwas mit ihm erleben möchte. Er versprach, alles besser zu machen, bemühte sich um einen Job und hat sich eine eigene Wohnung gemietet. Ich dachte: Jetzt wird er endlich erwachsen. Er war dann aber fast immer bei mir. Ich hatte das Gefühl, dass er aus Langeweile kam oder weil er nicht allein sein wollte. Er hat mir an der Tür kurz einen Kuss gegeben und sich auf direktem Weg mit seinem Handy ins Bett gelegt. Am nächsten Morgen hat er sich sein Mittagessen aus meinem Kühlschrank gesucht und mir die dreckigen Teller hinterlassen.
Er hat auch seine guten Seiten: Ab und zu kocht er für mich (ich darf danach allerdings das ganze Chaos in der Küche beseitigen). Ich spüre dass ich ihm wichtig bin, wenn ich z.B. alleine mit meinen Mädels weggehe und einen Hauch von Eifersucht und Verlustangst seinerseits zu spüren bekomme. Er hat schon mal gesagt, dass ich das Beste bin, was ihm passiert ist und dass er ohne meine Unterstützung nie sein Leben geregelt hätte wie jetzt.
Es ist so zwiespältig. Einerseits denke ich, dass er mich nur hinhält und mir Sachen verspricht, die nie passieren. Andererseits macht er irgendwann wieder so ein Wow-Ding, das mich Hoffnung schöpfen lässt. Ich habe nur langsam keine Geduld mehr. Mich verlässt die Kraft und die Hoffnung. Ich spiele mit dem Gedanken, mich zu trennen.
Ich hoffe und wünsche, Sie könnten ein wenig Licht ins Dunkel bringen.
Vielen Dank im Voraus
Ihre
Suse
Liebe Suse,
ich kann gut verstehen, dass Sie sich entmutigt und kraftlos fühlen! Denn so, wie Sie Ihre Beziehung beschreiben, ist es ein eindeutiges Minus-Geschäft für Sie. Sie haben nicht nur zwei Kinder zu versorgen, sondern auch noch einen Freund, der noch nicht erwachsen geworden ist, wie Sie es zutreffend beschreiben. Deshalb bleibt die Hausarbeit und die finanzielle Last an Ihnen hängen, und Sie erleben Konflikte, die viele Mütter von pubertierenden Söhnen täglich mit ihren Söhnen haben - (Räum die Teller weg! Spiel nicht dauernd mit deinem Handy!!!)
Sie beschreiben sich als einen fürsorglichen, großzügigen, hilfsbereiten und nähebedürftigen Menschen. Es wäre wichtig, dass Sie sich dessen bewusst sind und in nahen Beziehungen darauf achten, dass Sie entsprechend auch etwas zurück bekommen. Gibt es in Ihrer Lebensgeschichte Gründe dafür, dass Sie Ihre Bedürfnisse so weit zurück stellen? Haben Sie zum Beispiel als Kind wenig Hilfe bekommen und mussten alles alleine machen? Ging es einem Elternteil schlecht und Sie haben versucht, einzuspringen?
Auf jeden Fall ist es gut, dass Sie spüren, wie viel Kraft die Beziehung zu Ihrem Freund Sie kostet und dass Sie das Gefühl haben, bei Weitem nicht genug zurück zu bekommen: Weder finanzielle Unterstützung, noch Hilfe bei der Hausarbeit, noch verlässlichen emotionalen Rückhalt.
Sie haben bereits mehrere Versuche unternommen, Ihrem Freund die Grenzen aufzuzeigen und ihn um Hilfe zu bitten. Diese Versuche haben sich äußerst zäh gestaltet, und ich befürchte, dass Sie auch in Zukunft dauernd kämpfen und hinter ihm her sein müssten, damit sich in kleinen Schritten etwas verändert. So wie jetzt auch: Ein Schritt vor (eigene Wohnung), ein Schritt zurück (Geschirr bei Ihnen stehen lassen).
Vielleicht können Sie sich einmal in Ruhe (mit geschlossenen Augen) vorstellen, wenn dieses Muster zwischen Ihnen und Ihrem Freund unverändert so weiter geht. Wie fühlen Sie sich in einem halben Jahr, wie in einem Jahr, in zwei Jahren, in fünf, zehn zwanzig Jahren?
Wenn Sie merken, dass Sie sich wütend, traurig oder kraftlos fühlen, wäre es Zeit für ein letztes deutliches Stopp-Signal Ihrem Freund gegenüber: Bis hierhin und nicht weiter. Entweder Dein Verhalten ändert sich ab jetzt, oder wir lassen es.
Ich kenne einige Beziehungen, in der nur die deutliche und ernst gemeinte "gelbe Karte" zu Veränderungen geführt hat. Da Sie an Ihrem Freund hängen, wäre es einen Versuch wert.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
Liebe Leserinnen und Leser,
ich bin an dieser Stelle sehr an einem Austausch interessiert und freue mich über Ihre eigenen Erfahrungen, Ihre Gedanken und auch Hilfestellung für die Ratsuchende. Aber bitte bleiben Sie dabei stets konstruktiv und respektvoll, sowohl anderen Leserinnen und Lesern, der Ratsuchenden als auch mir gegenüber.
Mit herzlichen Grüßen
Julia Peirano