Sehr geehrte Frau Peirano,
seit 4 Monaten bin ich (31) mit einer Frau (28) zusammen. Sie liebt mich sehr, mehr als ich sie. Ich weiß, dass sie depressiv ist und außerdem sehr empfindlich.
Sie fängt oft aus kleinen Gründen an zu weinen und hat auch nicht viele Freunde in dem Ort, wo wir wohnen.
Sie verspürt immer einen immensen Druck alles richtig zu tun, wenn sie mit mir zusammen ist. Ich rede ihr schon immer gut zu, dass sie sich keine Sorgen machen braucht, dass alles okay ist und dass ich ihr niemals Druck geben werde.
Sie hat glaube ich panische Angst, dass ich mich von ihr trennen könnte. Ich will nicht sagen, dass ich das vor habe, aber es könnte passieren. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn sie sich etwas antut.
Bald bin ich 2 Monate im Ausland. In der Zeit kann ich mich nicht um sie kümmern.
Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Vielen Dank
Frank
Lieber Frank,
als ich Ihren kurzen Bericht gelesen habe, hatte ich den Eindruck, dass Sie unter massivem Druck stehen. Eigentlich sind Sie mit Ihrer neuen Freundin noch in der Anfangsphase, in der man eine unbeschwerte Zeit miteinander verbringen sollte (herumalbern, Ausflüge machen und Schmetterlinge im Bauch haben...). Besonders in der Anfangsphase lernt man sich kennen und überprüft dabei, wie gut man zusammen passt. Es ist in dieser Phase immer möglich, dass einer von beiden oder sogar beide zu dem Entschluss kommen, dass man doch nicht so gut zusammen passt.
Bei Ihnen sieht schon die Anfangsphase ganz anders aus. Keine Schmetterlinge weit und breit, statt dessen Depressionen, Sorgen, Ängste und Einsamkeit Ihrer Partnerin. Und Sie empfinden Angst, dass Sie sich etwas antun könnte und haben schon Schuldgefühle im Voraus. Es hört sich an, als wenn Sie sich jetzt schon massiv verpflichtet fühlen und die Verantwortung für das Wohlergehen Ihrer Freundin übernommen haben.
Es ist jetzt nicht egoistisch oder hartherzig gemeint, aber: Die Verantwortung für sein eigenes Wohlergehen muss jeder selbst übernehmen. Niemand kann diese an einen Partner abwälzen. Ich habe in meinem Buch "SOS in der Liebe" eine Tangometapher entwickelt: Beim Tangotanzen, Wange an Wange und eng umschlungen, stehen beide Partner in ihrer eigenen Balance. Nur dann, wenn sich keiner auf den anderen stützt und sein Gewicht an ihn abgibt, kann man sich so nah sein und ist gleichzeitig so beweglich. Sobald einer sich in die Schulter des anderen hängt, wird es für den anderen sehr unbequem und sogar schmerzhaft. In der Liebe ist das nicht anders.
Ihre Freundin ist anscheinend auch ohne Sie klar gekommen, bevor Sie zusammen waren. Es ist ganz wichtig, dass Sie mit Ihr besprechen, wie Sie weiterhin klar kommen kann, im Alltag und insbesondere wenn Sie im Ausland sind. Wie kommen Sie auf die Idee, dass Ihre Freundin sich etwas antun könnte, wenn Sie zwei Monate im Ausland sind? Hat Sie etwas in der Richtung geäußert oder schon einmal einen Suizidversuch unternommen? Ich würde Ihnen raten, schon jetzt, am Anfang der Beziehung deutlich zu sagen, dass Ihre Freundin sich um sich selbst kümmern muss und sich um ihre eigene Stabilität bemühen muss. Dass ist nicht Ihre Aufgabe.
Wenn Sie eine Freundin hätten, die nierenkrank ist und zur Dialyse muss, würden Sie die Dialyse ja auch nicht selbst durchführen, sondern Sie zu einem Arzt schicken. Wenn Sie den Eindruck haben, dass Ihre Freundin schwer psychisch erkrankt ist und unter Suizidgedanken leidet, dann braucht Sie kompetente, fachliche Hilfe, also Psychotherapie oder einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. Das können Sie als Partner keinesfalls leisten!
Ich würde Ihnen empfehlen, selbst ein paar Stunden bei einem gut ausgebildeten Therapeuten zu nehmen, damit Sie sich selbst in dieser Beziehung so positionieren können, wie es Ihnen entspricht. Das könnte natürlich auch bedeuten, dass Sie diese Beziehung nicht weiterführen wollen (oder eher auf einer freundschaftlichen Ebene). Wenn Sie jetzt nicht aufpassen, rutschen Sie ansonsten in ein Co-abhängiges Verhalten. Das bedeutet, dass Sie sich selbst verlieren und nur noch auf die Stimmungen, Empfindlichkeiten und Probleme Ihrer Partnerin reagieren und versuchen, diese möglichst auszugleichen. Sie selbst zählen nur noch in der Rolle des Pflegers, Beschützers und Kümmerers. Ihre eigenen Wünsche fallen hinten runter. Deshalb fühlt sich auf Dauer keiner in der Co-Abhängigkeit wohl.
Sie haben mir geschrieben, weil Sie sich nicht wohl fühlen. Das ist ein gutes Zeichen. Schauen Sie am besten noch genauer hin, was in Ihrer Beziehung passiert und überlegen Sie ganz bewusst, welchen Kurs Sie fahren wollen.
Sie werden dabei bestimmt viel über sich lernen und sich auch entlastet fühlen.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
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Herzliche Grüße
Julia Peirano