Liebe Frau Dr. Peirano,
ich Studentin, 27, habe das Gefühl in einem Teufelskreis festzustecken, dem ich in diesem Leben wohl nicht mehr entkommen werde: Ich bin ziemlich attraktiv, nicht schüchtern und zudem intelligent. Doch meine Beziehungen enden immer nur in einer Affäre und das, obwohl meine „Partner“ nicht anderweitig liiert waren. Mittlerweile fühle ich mich nur noch wie eine Frau zweiter Klasse, als eine die begehrenswert erscheint, aber eine, die niemand lieben will oder kann. Eine, die eigentlich niemand haben möchte.
Dabei gebe ich mir Mühe in Beziehungen, ich denke eigentlich schon, dass ich liebenswert bin. Ich bin wählerisch, gebe mich nicht mit irgendeinem zufrieden und bin nur dann an mehr interessiert, wenn ich fühle, dass die „Chemie“ stimmt. Und gewisse Ansprüche an die Optik stelle ich auch. Ich muss einen Mann schon begehrenswert finden, damit da mehr läuft.
Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass es entweder Männer gibt, die ich sympathisch und nett finde, aber mit denen nie mehr passiert, einfach weil von beiden Seiten das letzte Quentchen Willen oder Interesse fehlt und mit denen alles maximal in einer Freundschaft stagniert. Und dass es solche Männer gibt, mit denen alles in einer von diesen unseligen Affären endet.
Vor zwei Jahren hatte ich mich so stark verliebt, dass ich wirklich ein Trauma davongetragen habe: Man könnte fast sagen, ich wurde missbraucht für „einfach zu habenden“, kostenlosen Sex. Gleichzeitig wurde mir von diesem Mann gesagt, dass er keine Beziehung mit mir eingehen will, weil ich zu jung, zu unerfahren, nicht passend sei. Wenn man verliebt ist, macht man so etwas mit.
Sie werden nun vielleicht denken, dass eine Phase der sexuellen Abstinenz das Beste wäre, um die alten Wunden auszuheilen und nicht noch weitere eventuell davon zu tragen: Das Problem ist nur, dass dies mich wahnsinnig und regelrecht depressiv macht. Ich habe eine gesunde Libido und habe das Gefühl zu „vertrocknen“, wenn ich länger enthaltsam war. Masturbieren ist absolut keine Lösung bzw. Alternative. Ich befürchte, dass es das Beste wäre, das Problem bei der Wurzel zu packen und eine gesundfunktionierende Libido am besten irgendwie auszuschalten.
Eine Therapie kommt für mich nicht in Frage, da ich in eine private Krankenversicherung wechseln will.
Ich würde mich über eine Antwort sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Jeanette
Liebe Jeanette,
mit Ihrem Dilemma sind Sie bei weitem nicht alleine. Viele Männer und Frauen empfinden ähnlich wie Sie, dass Sie sich zwischen einer leidenschaftlichen Beziehung (die meistens im Desaster endet) und einer freundschaftlichen Beziehung (wo das Kribbeln fehlt) entscheiden müssen und innerlich sagen: Das kommt beides nicht in Frage.
Was kann man da tun? Ich hätte Ihnen in der Tat gerne vorgeschlagen, eine Pause zu machen, um Ihr Trauma zu heilen, sich mit Ihrer Strategie bei der Partnersuche zu beschäftigen und die Prioritäten so zu setzen, dass Sie jemanden finden, der Ihnen wirklich gut tut. Mit Zeit und Geduld hätten Sie viel mehr Möglichkeiten, doch diese Zeit lassen Sie sich nicht. Leider ist es so, dass man sich auch mit untragbaren Kompromissen zufrieden geben muss, wenn man bei der Partnersuche ungeduldig und ausgehungert ist (nach Sex, nach Anerkennung, nach Gesellschaft).
Das Problem ist, dass viele Möglichkeiten für Sie nicht in Frage kommen: Eine Beziehungspause bzw. Phase der Abstinenz oder eine körperliche Annäherung an sich selbst in Form von guter Selbstbefriedigung. Sie sagen, dass eine Affäre nicht in Frage kommt, da Sie nach einiger Zeit Eifersucht entwickeln. Und eine Therapie kommt für Sie nicht in Frage, in der Sie das alles aufrollen könnten. Sie selbst nennen alle naheliegenden und vernünftigen Lösungen, schließen sie dann aber mit Nachdruck aus. Das kommt mir vor wie jemand mit einer Sportverletzung, der sagt: „Salben sind mir zu teuer, eine Trainingspause kommt nicht in Frage und zum Arzt gehe ich nicht.“
Ich weiss beim besten Willen nicht, was ich Ihnen raten kann, außer dass Sie sich selbst ganz ehrlich zwei Fragen beantworten:
- Warum machen Sie Ihr Selbstwertgefühl von Ihrem Erfolg bei Männern abhängig? Sie entwerten sich selbst, indem Sie sagen, dass Sie eine Frau zweiter Klasse sind, die niemand haben möchte. Was schätzen Sie an sich unabhängig von Verhältnissen zu Männern? Was läuft gut in Ihrem Leben (Studium, Freundschaften, Hobbies)? Was können Sie tun, damit Sie sich selbst mehr lieben können und sich aus tiefster Überzeugung für eine liebenswerte Frau halten? Dann würden Sie, auch wenn Sie verliebt sind, Grenzen setzen und Ihre eigenen Interessen nicht aus den Augen verlieren.
- Warum glauben Sie, dass Sie eine Pause von Beziehungschaos nicht ertragen können? Wie könnten Sie es schaffen, Ihr Leben so zu gestalten, dass Sie sich unabhängiger von der Bestätigung durch eine Partnerschaft machen?
Ich habe von vielen Frauen gehört, dass die Sie in ihren Zeiten als Single sehr glücklich waren, weil sie sich ausschließlich um sich selbst kümmern konnten. Wahrscheinlich würde Ihnen das auch gut tun.
Mit freundlichen Grüßen
Julia Peirano