Juni 1999, in ein paar Tagen beginnen die Sommerferien, die Sonne brennt vom Himmel und ich sitze mit den anderen Mädchen aus meiner Klasse im Gras. Ich bin vierzehn und heute ist für mich der schlimmste Tag des Jahres: Bundesjugendspiele. Schon eine Woche vorher machte sich in meinem Bauch jedes Jahr ein leichtes Ziehen bemerkbar, das spätestens am Abend vorher zu handfesten Bauchschmerzen überging. Das Stadion, in dem wir Sommer für Sommer gequält wurden, war mit Erdhügeln ausgestattet, die als Tribünen fungierten. Dort saßen all die Glücklichen, die gerade weder laufen, werfen noch springen mussten, und schauten ihren Schulkameraden zu. Versagen vor Publikum also. Ich stand an der Springgrube und vollführte das, was mein Versuch eines Weitsprungs war - unter den belustigten Blicken meiner Lehrer, meiner Freundinnen und des Jungen, den ich süß fand.
Ich war nie gut im Sportunterricht, zu ungelenkig, zu ungeschickt. Das war in der Grundschule und auch später immer mal wieder der Grund für heimliche Tränen. Schließlich ist es furchtbar peinlich, wenn alle über den Bock springen und nur ich es auch im hundertsten Versuch nicht schaffte. Doch ich wäre nie dafür, den gesamten Sportunterricht abzuschaffen. Es ist wichtig, dass Kinder sich bewegen, ihre Motorik verbessern. Außerdem habe ich im Laufe meiner Schulzeit gelernt, mit meinem Versagen umzugehen, eine durchaus wichtige Lektion, auch wenn ich das Glück hatte, nie wegen meiner Unsportlichkeit gehänselt zu werden.
Doch die Bundesjugendspiele waren schlimmer als jede Sportstunde. Es war ein Tag voller Demütigungen - und komplett überflüssig. Das Sportfest - was ein hübsches Wort für etwas so Fieses - soll die Motivation der Schüler für alles Sportliche steigern, doch das Gegenteil ist der Fall. Selbst diejenigen, die in Leichtathletik gut waren, mochten den Tag nicht sonderlich. Bei mir verfestigten die Bundesjugendspiele den Eindruck, dass ich alles, was mit Sport zu tun hat, nicht kann. Jahrelang war ich sicher, in egal welcher Sportart quasi automatisch zu versagen.
Natürlich müssen Kinder lernen mit Niederlagen umzugehen, aber die Vier in Mathe war etwas ganz anderes als das Gefühl, wenn unsere sadistisch veranlagte Sportlehrerin jedes Kind einzeln aufrief, um die Urkunden zu verteilen, und mit süffisantem Lächeln sagte: "Viktoria, wieder nur eine Teilnehmerurkunde". Warum soll man Kinder noch immer mit den Bundesjugendspielen quälen? Schließlich werden sie in keinem anderen Fach zu einem öffentlichen Wettkampf gezwungen. Ich sehe den Nutzen dieses Tages einfach nicht - und verfüge dafür über eine lange Liste an negativen Erinnerungen und Gefühlen. Und glaubt man Twitter, bin ich damit beileibe nicht allein.