Eine Handvoll Omas und Opas, zwei Väter, eine Mutter, dazu noch Geschwister. Keine Entfremdung, kein Zwist, die Kinder sind nicht mehr besonders jung, aber einige Großeltern alt und kaum jemand wohnt um die Ecke – so geht Weihnachten seit Jahren, bei uns und in vielen anderen (Patchwork-)Familien.
Wir selbst werden an mindestens zwei Tagen hunderte von Kilometern auf Autobahnen herunterreißen, ebenso die Mutter – und das Kind reist aus dem Ausland an, will aber ohnehin schnell weiter nach Berlin. Der adventlichen Planungsorgie sei Dank kommen zwar alle Beteiligten zu ihrem Recht, die Verdichtung aber verdrängt auch den Kern des Festes: die Besinnlichkeit.
Wobei – ist Besinnlichkeit überhaupt das, was Weihnachten ausmacht? Und falls ja, wer sagt, dass sie das sein muss? Ein kurzer Blick zurück zeigt, dass das Innehalten zwar lange zur Adventszeit gehörte – aber nur mehr oder weniger freiwillig.
Die Erfindung von Weihnachten und Besinnlichkeit
Für viele Christen begann einst Mitte November eine 40-tägige Fastenzeit, die bis zur Wintersonnenwende andauerte. Bis dahin wurde es jeden Tag früher dunkler; die Früchte auf dem Feld waren eingefahren, bis auf Pflichten, die auch sonst anfielen, gab es nicht viel zu tun. Besinnlichkeit war eher ein Nebeneffekt der adventlichen Warterei als deren Zweck.
Ruhig aber war es dennoch nicht. Die Menschen nutzten die Zeit für festliche Umzügen und Märkte, es wurde viel musiziert und getanzt. Es gab ja schließlich etwas zu feiern. Der Rückzug des Weihnachtsfestes ins privat-besinnliche begann erst mit der Erfindung der bürgerlichen Kleinfamilie, also vor rund 150 Jahren. Die Kinder sagten Gedichte auf, dafür gab es Geschenke – so in etwa ist es auch heute noch. Manchmal.
Manchmal aber eben auch nicht. Meinen Eltern habe ich auch auswendig gelernte Verse aufgesagt, aber nur bis ich neun oder zehn Jahre alt war. Die Schwiegerfamilie dagegen ist groß genug für ein Kammerorchester und pflegt fleißig die Tradition des Hauskonzerts. Für manche Paare wiederum lohnt sich kaum der Kauf einer ganzen Weihnachtsgans, und ein Freund freut sich wie viele andere Muslime vor allem auf ein paar freie Tage (Geschenke für die Kinder gibt's natürlich trotzdem).
Eine britische Studie wollte jüngst wissen, wann genau das perfekte Weihnachtsalter sei. Es liegt bei sechs Jahren, so das Ergebnis. In dem Alter würden Kinder noch an den Weihnachtsmann glauben, hätten aber schon ein Zeitgefühl, wissen also, was sie erwartet und worauf sie sich freuen können. Mit sechs entfaltet sich die ganze Weihnachtsmagie also in voller Pracht.
Ich war sechs und Playmobil der neueste heiße Scheiß
Es gibt Bilder von mir in dem Alter – auf denen sitze ich neben dem Tannenbaum, im Rollkragenpulli, mit beiger Wollstrumpfhose und sehr roten Wangen. In meinen Händen halte ich einen Playmobil-Ritter, damals superneu und superhot – sehr viel mehr 70er geht nicht. In meiner Erinnerung war das tatsächlich eines der schönsten Weihnachten.
Und möglicherweise auch das meiner Eltern. Bei der Erhebung gab die Mehrheit der Befragten an, dass ihr schönster Weihnachtsmoment die Freude der Kinder während der Bescherung ist – 70 Prozent sagten, das würde ihre eigene Weihnachtsstimmung erst richtig entfachen. Dazu passt, dass die meisten Erwachsenen lieber verschenken, als beschenkt zu werden, wie andere Umfragen regelmäßig zeigen.
Wahrscheinlich besteht die ganze Magie des Weihnachtsfests in der Erwartung, genau diese kindlichen (Vor-)Freudemomente und deren Anblick jedes Jahr aufs Neue reproduzieren zu können. Funktioniert nur leider nicht. Denn Kind, Zeiten und Weihnachten ändern sich, erst recht, wenn sich die Familie vergrößert, verkleinert oder sonst wie zerpuzzelt.
Verschenkt einfach eure Zeit
Wenn aber das Geben für die meisten Erwachsenen ohnehin schöner ist als das Nehmen, vielleicht lindert den Advents- und Festtagsstress der Gedanke, dass wir in gewisser Weise unsere Zeit verschenken. Die Zeit, die es braucht, sich Gedanken darüber zu machen, was den anderen Freude bereiten könnte, die Zeit, die es braucht, es zu besorgen – und die Zeit, die es braucht, zu den Menschen zu kommen, mit denen wir (gerne) Zeit verbringen wollen.