Wie die Brüstung eines Logenplatzes zieht sich die Reling der "Rowanlea" durchs Bild. Rechts davon tobt rohe Urgewalt: Unter Gischt und Dünung tanzen die mächtigen Wellen des Atlantiks, wiegen den spanischen Trawler unablässig im Takt des Ozeans. Auch den Männern an Bord gibt das Meer den Rythmus vor: drei Stunden schuften an Deck, drei Stunden schlafen. Schichten rund um die Uhr.
Bärtig und in Ölzeug gehüllt, trotzen sie dem Sturm. Fischer, das ist kein Vernunftberuf, eher eine Berufung, eine Frage der Tradition. Echte Männer fahren zur See, lieben und fürchten das Meer, führen ein raues Leben zwischen Wellen und Horizont - wochenlang.
Rohe Melancholie
Gast der verschworenen Gemeinschaft an Bord ist Jean Gaumy. Seit Jahren zieht es den 44-jährigen Fotografen immer wieder hinaus aufs Meer. Wochenlang teilt er das harte Leben der Fischer, fotografiert ihren Alltag an Bord der Trawler. Auch er ist nicht aus Vernunft auf See oder weil er meint, einen Auftrag zu haben. Kollegen belächeln ihn wegen des Projektes: "Er macht Bootsaufnahmen..." spotten sie.
Gaumy, aufgewachsen im Südwesten Frankreichs, an der Mündung der Gironde, erinnert sich später im Interview mit der Zeitschrift "Mare": "Ich begann mit 14, 15 auf Booten mitzufahren, in die Flussmündung und aufs offene Meer. Wir fuhren ein, zwei Tage hinaus."
Wind und Wellen prägen schon früh Gaumys Leben. 1970 beschließt er, Fotograf zu werden. Anfang der 80er unternimmt er die erste Trawler-Reise. 20 Jahre und viele Fahrten später füllen seine Bilder 274 Seiten. "Pleine Mer" heißt der Fotoband und schaut in eine andere Welt - eine aus Stahl und Holz, Maschen und Fischleibern, Wolle und Ölzeug, Meerwasser und Salzluft. Melancholisch rohe Schwarzweißbilder erzählen die Geschichte der Hochseefischer.
Liebe und Leere
"Wenn man hinaustritt, muss man immer mit der Gewalt des Meeres rechnen. Luis, der Kapitän, ist zum ersten Mal 1982 auf der "Rowanlea" gefahren, als einfacher Matrose zusammen mit Torres, dem vorherigen Kapitän. Eine seiner schlimmsten Erinnerungen ist ein Vorfall, der sich im November 1997 auf der 'Stella Orion' ereignet hat: Eine riesige Welle hatte einen seiner Männer über Bord gerissen. Es war ein unerhörtes Glück, dass die Bewegung der Fluten es den anderen Matrosen trotz der Geschwindigkeit des Schiffes erlaubte, ihn während der kurzen zwei oder drei Sekunden des Zurückströmens gerade noch zu packen. Seitdem ist Luis noch vorsichtiger. Wie wir alle ist er beim Betreten des Decks besonders aufmerksam. Tatsächlich verspürt jeder die gleiche Angst, vom Meer oder von den Stahlseilen erfasst und von den Winden oder dem Gewicht der Scherbretter zerquetscht zu werden", notiert Gaumy im Januar 1998 an Bord des Schiffes.
Ein Schiff im Sturm auf dem Atlantik, das sei isoliert, schreibt Gaumy weiter, "...in einer Blase, abseits der Welt...". Das Meer versetze ihn in einen Harmoniezustand, lulle ihn ein mit seiner Eintönigkeit - und das sei es, was er daran liebe. Er sei fasziniert davon, wie die Fischer "mit sich selbst konfrontiert werden, mit ihrer Langeweile und ihrem Stumpfsinn". Diese Leere werfe jeden auf sich selbst zurück, nach ein paar Tagen auf See suche jeder an Bord die Einsamkeit, kehre in sich. "Ich auch."
Gefragt, ob sich das in seinen Bilder spiegele, antwortet Gaumy: "Es wäre schön, wenn ich das zeigen könnte, aber ich glaube, Fotografie kann Leere im Kopf nicht zeigen, sie kann den Mangel nicht herausarbeiten." Betrachtet man das Bild der Männer an Deck, glaubt man zu verstehen, was der Fotograf meint. Gaumys Reportage erzählt von Gefahr, Mut und harter Arbeit, von Mensch und Meer, von Liebe, Angst und Respekt. Sie zeigt alles, was man über das Leben an Bord eines Trawlers nur zeigen kann, aber eben keine Leere. Die hat jeder für sich.