Am 1. Dezember 1955 ist die schwarze Schneiderin Rosa Parks etwas früher fertig mit ihren Aufträgen. An jenem Donnerstag hat die 42-Jährige ihr Tagessoll in der Änderungsabteilung des Kaufhauses Montgomery Fair mehr als erfüllt, deshalb entlässt die Vorgesetzte sie ein paar Minuten früher.
Parks eilt zum Bus, sie steigt vorn in den Wagen der Cleveland-Avenue-Linie, kauft sich eine Fahrkarte bei dem weißen Busfahrer James F. Blake, dann steigt die Schwarze wieder aus dem Bus aus, um durch die Hintertür erneut einzusteigen. Dieses aufwendige Prozedere ist damals gesetzlich vorgeschrieben. Seit den 1880er-Jahren regeln die "Jim Crow Laws" die Rassentrennung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Schilder mit den Aufschriften "Whites only" und "Coloreds only" sind in den US-Südstaaten, zu denen Alabama gehört, omnipräsent. Das bedeutet: Schwarze und Weiße lernen in getrennten Schulen, sie essen in getrennten Restaurants, und in öffentlichen Bussen sie sitzen in getrennten Bereichen.
Die Reihen vorn im Wagen sind für Weiße reserviert, die Plätze für Schwarze befinden sich im hinteren Teil des Busses. Dazwischen gibt es einen neutralen Abschnitt, in dem auch Schwarze sitzen dürfen, zumindest so lange, bis eine weiße Person einen der Plätze für sich beansprucht. Da der Bereich für Schwarze an jenem Donnerstagabend bereits überfüllt ist, setzt sich Parks in die neutrale Zone neben einen Bekannten. Es handelt sich um den Vater eines Kollegen von der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP). Seit 1943 arbeitet Parks ehrenamtlich als Sekretärin für die NAACP, eine der einflussreichsten Organisationen der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Ihr Ehemann Raymond Parks, ein im Landkreis bekannter Friseur, hatte sie motiviert, politisch aktiv zu werden.
Rosa Parks bleibt sitzen
Der Bus wird von Station zu Station immer voller, gegenüber von Parks nehmen zwei Schwarze Platz. Plötzlich schreit der Busfahrer: "Geben Sie diese Plätze frei!" Die Schwarzen gegenüber stehen auf und drängen sich in den übervollen hinteren Bereich. Auch Parks Bekannter räumt seinen Fensterplatz, während er halblaut murmelt: "Ich habe heute keine Lust auf Ärger, ich verschwinde." Um ihn vorbeizulassen, erhebt sich Parks für einen kurzen Moment, dann nimmt sie wieder Platz.
"Ich dachte an Emmett Till und konnte einfach nicht aufstehen und nach hinten gehen", sagt Parks später über den Moment ihres zivilen Ungehorsams. Der 14-jährige schwarze Junge pfiff im Sommer 1955 in Mississippi einer weißen Frau hinterher, woraufhin ihn zwei weiße Männer folterten und ermordeten. Auch in Alabama, einem Nachbarbundesstaat von Mississippi, erschütterte dieser Lynchmord die Menschen. "Ich war müde", sagt Parks später über jenen Tag. Die schwarze Schneiderin ist damals nicht nur erschöpft von ihrer Arbeit, sie ist der Rassentrennung, die Schwarze als Menschen zweiter Klasse degradiert, überdrüssig.
Busfahrer Blake fordert Parks erneut auf, den Platz freizugeben: "Machen Sie es sich nicht so schwer." Doch die schwarze Frau rührt sich nicht. Sie blickt Blake an und erwidert: "Warum hacken Sie auf uns herum?" Daraufhin droht er, die Polizei zu rufen. "Tun Sie, was Sie müssen", sagt Parks und bleibt sitzen. Während einige Weiße die Drohungen bekräftigen, steigen einige Schwarze aus – sie wollen keinen Ärger mit der Polizei. "Das ist doch der neutrale Bereich. Sie hat ein Recht, dort zu sitzen!", rufen andere von hinten.
Eine folgenreiche Verhaftung
Doch auch als zwei Polizisten eintreffen, weigert sich Parks, ihren Platz zu räumen. Die Beamten verhaften die Schwarze und führen sie ab. Auf der Wache nehmen sie Parks Fingerabdrücke und machen ein polizeiliches Erkennungsfoto. Die Anklage wirft ihr "ungebührliches Verhalten" und einen "Verstoß gegen örtliche Verordnungen" vor. Nach einigen Stunden in Haft hinterlegt ein Freund ihre Kaution, Parks kommt noch am selben Abend frei. Einer der Polizisten sagt später: "Rosa Parks Verhaftung bewegte mehr Menschen als jede andere zuvor."
Die Nachricht verbreitet sich binnen Stunden innerhalb der schwarzen Gemeinschaft von Montgomery. In den 1950er-Jahren leben mehr als 100.000 Menschen in der Hauptstadt von Alabama, Schwarze machen mehr als 40 Prozent der Stadtbevölkerung aus. Noch am Abend beruft Jo Ann Robinson, Präsidentin des Women's Political Council (WPC), eine Notfallsitzung ein. 25 Frauen versammeln sich im Büro der schwarzen Englisch-Professorin am Alabama State College. Ohne dessen offizielle Erlaubnis drucken sie in der Nacht Zehntausende Poster und riskieren eine Verhaftung wegen Hausfriedensbruchs. Die Plakate mit der Aufschrift "Unterstützt Mrs. Parks, bleibt den Bussen fern, geht am Montag zu Fuß!" verteilen sie in ganz Montgomery.
Der Kampf für Gerechtigkeit beginnt
Vier Tage später diskutieren Vertreterinnen des WPC, Aktivistinnen und Aktivisten des NAACP sowie Mitglieder der Kirchen den Vorfall. Mehr als 5000 Menschen kommen in der Holt Street Baptist Church in Montgomery zusammen. Rosa Parks ist nicht unter ihnen. Sie ist vor Gericht, das sie zu einer Geldstrafe von 14 Dollar verurteilt.
Neben WPC-Präsidentin Jo Ann Robinson und NAACP-Aktivisten ergreift auch Martin Luther King Jr. das Wort: "Wir versammeln uns hier nur, weil wir den Wunsch haben, dass das Recht siegt", erklärt der 36-jährige baptistische Pastor. Seit Jahren predigt er in der Gemeinde, doch selten wurde er so politisch. "Meine Freunde, ich möchte, dass ihr wisst, dass wir erbittert und entschlossen für Gerechtigkeit in den Bussen dieser Stadt kämpfen werden."
Die Anwesenden gründen die Montgomery Improvement Association (MIA) und vereinbaren, die Busse der Stadt auf unbestimmte Zeit zu boykottieren. "Wir werden zu Fuß gehen und die Busse meiden, bis das Recht wie Wasser strömt und Gerechtigkeit wie ein mächtiger Strom", ruft Martin Luther King in Anlehnung an einen Bibelvers aus dem Buch des Propheten Amos. Seine Worte gelten heute als seine erste große politische Rede und der Beginn der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.
Bei Wind und Wetter laufen die Boykottierenden – vor allem Schwarze, aber auch Weiße – täglich kilometerweit durch Montgomery. Sie gehen zu Fuß zur Arbeit, zum Supermarkt und zur Kirche. Da schwarze Fahrgäste mehr als 60 Prozent der zahlenden Kundschaft der Montgomery City Lines ausmachen, schadet der Boykott dem Konzern massiv. Und macht Schlagzeilen weit über Alabama hinaus.
Am 13. November 1956, fast ein Jahr nachdem Rosa Parks sich geweigert hatte, ihren Platz freizugeben, fällt der US-Supreme Court ein bedeutendes Urteil: Das Gericht bestätigt, dass die Rassentrennungsgesetze von Alabama für Busse verfassungswidrig sind. Der Busboykott von Montgomery endet nach 381 Tagen. Am 20. Dezember 1956 hebt die Hauptstadt von Alabama die Rassentrennung in Bussen auf. Fortan können Schwarze wie Martin Luther King Jr. und Rosa Parks ihre Sitzplätze frei wählen. Es ist ein erster Sieg der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in einem langen Kampf für Gerechtigkeit.