Sie steht da, zitternd, ein Kind noch, gerade einmal zwölf Jahre alt. Ihre dunklen Augen suchen Halt in der Menge, während ihre kleinen Hände das Mikrofon umklammern. Fatima – ein Name wie tausend andere und doch in diesem Moment so besonders schwer zu tragen.
"Ich entschuldige mich", sagt sie, und ihre Stimme bricht. Entschuldigt sich für etwas, das sie nicht getan hat. Entschuldigt sich dafür, dass sie existiert, dass ihre Wurzeln in einem Land liegen, das sie kaum noch kennt. Afghanistan – ein Wort, das ihr in Deutschland plötzlich wie ein Makel anhaftet.
Vor fünf Jahren kam sie hierher, ein siebenjähriges Mädchen voller Hoffnung und Träume. Heute steht sie auf einer Bühne in Aschaffenburg, wo der örtliche afghanische Kulturverein seine Trauer um die Opfer bekundet, und trägt eine Last, die kein Kind tragen sollte. Die Last der kollektiven Schuldzuweisung, die Last des "Anders-Seins", die Last der Vorurteile.
Aschaffenburg: Kind bittet auf Bühne um Verzeihung
"Menschen denken, weil ich eine Afghanin bin, dass ich böse bin." Wie viele Tränen hat sie schon im Stillen geweint, wenn Mitschüler sie plötzlich anders anschauten, wenn Gespräche verstummten, sobald sie den Raum betrat? Wie oft hat sie sich gewünscht, unsichtbar zu sein, oder anders auszusehen, nur um dazuzugehören?
Es ist ein Moment, der uns allen den Spiegel vorhält, der besonders uns Müttern und Vätern ins Herz schneidet. Wenn ich meine eigene vierjährige Tochter anschaue, die nicht dem Bild des vermeintlich deutschen Phänotyps entspricht, zieht sich mein Herz zusammen.
Ich sehe in Fatima die Zukunft, die meiner Tochter drohen könnte – eine Zukunft, in der sie sich für ihr Aussehen, ihre Herkunft, ihr bloßes Sein wird rechtfertigen müssen. Ein Kind, das sich für seine Herkunft entschuldigt – welch vernichtendes Urteil über unsere Gesellschaft. Während die Erwachsenen über Migration debattieren, über Gesetze und Quoten streiten, steht hier ein Mädchen und zeigt uns mit erschütternder Klarheit, was diese vergiftete Atmosphäre mit den Unschuldigsten macht. Als Mutter spüre ich diesen Schmerz doppelt – den Schmerz des Kindes vor mir und die Angst um mein eigenes Kind.
Das kollektive Trauma einer Generation
Fatima hat schwarzes Haar und dunkle Augen – Merkmale, die in einem weltoffenen Land nichts bedeuten sollten. Stattdessen werden sie zu Stigmata, zu Zeichen einer vermeintlichen Andersartigkeit, die sie rechtfertigen muss. Sie ist ein Kind, das zwischen den Welten steht – zu deutsch für Afghanistan, zu afghanisch für Deutschland, gefangen in einem Niemandsland der Identitäten.
Doch in ihrer verletzlichen Ehrlichkeit liegt auch Stärke. Mit dem Mut der Verzweiflung stellt sie sich ihrer Angst, spricht aus, was viele verschweigen. Sie zeigt uns, dass hinter jeder Statistik, hinter jeder Schlagzeile über Migration Menschen stehen – Menschen wie sie, die nichts anderes wollen als leben, lernen, dazugehören.
Die Tränen in Fatimas Augen sind ein stummer Vorwurf an uns alle, ein Vorwurf, der jedes Mutterherz zerreißt. Sie fragen uns: In was für einer Gesellschaft leben wir, wenn ein Kind sich für seine Herkunft schämen muss? Was für eine Zukunft bereiten wir unseren Kindern, wenn wir zulassen, dass ihre Verschiedenheit zu ihrer Bürde wird? Was sagt es über uns aus, wenn die Unschuldigsten die Last unserer Vorurteile tragen müssen?
Ein Kind sollte sich niemals entschuldigen müssen
Während die Erwachsenen in ihren Parlamenten und Talkshows über das "Wir" und "Die" streiten, steht Fatima auf dieser Bühne und zeigt uns, was Menschlichkeit bedeutet. In ihrer kindlichen Weisheit führt sie uns vor Augen, wie absurd es ist, Menschen nach ihrer Herkunft zu beurteilen.
Fatimas Geschichte ist mehr als ein bewegender Moment. Sie ist ein Weckruf, ein Appell an unser aller Gewissen. Denn in einer wahrhaft humanen Gesellschaft sollte sich kein Kind jemals für seine Herkunft entschuldigen müssen. Die einzigen, die sich entschuldigen sollten, sind wir – dafür, dass wir es so weit haben kommen lassen.