Femizid 14 Notrufe setzte die Mutter ab, doch die Polizei schützte sie nicht. Dann schlug ihr Sohn sie tot

Tote Frau wird aus der Wohnung gebracht
Am 28. September 2023 war es zu spät: Die Polizei transportiert die Leiche von Renatte B. ab
© Holger Kroeger
Sehen Sie im Video: Stern-Reporterin über Femizid in Lübeck: Notrufprotokolle der Polizei werfen Fragen auf.
Renatte B. fürchtete, ihr Sohn würde sie umbringen. Verzweifelt bat sie die Polizei um Hilfe, immer und immer wieder. Doch die Beamten schützten sie nicht.

Renatte B. fürchtete um ihr Leben. 14 Mal wählte sie in den drei Tagen vor ihrem Tod die 110. Zwei Mal ging sie in Lübeck zur Polizeiwache. Die 55-Jährige hatte Angst, dass ihr Sohn Michael sie töten würde. "Mein Leben ist bedroht", sagte Renatte B. bei ihrem 13. Notruf und flehte: "Können Sie mich wo unterbringen, bitte?" Der Polizist antwortete: "Nö." Nannte ihr nicht mal die Adresse eines Frauenhauses, schickte sie zum nächsten Revier.

24 Stunden später war Renatte B. tot. Erschlagen von ihrem Sohn, der ihr mit einer Hantel das Gesicht zertrümmert hatte. 16 Mal drosch er auf ihren Kopf ein, brach ihr fast alle Gesichtsknochen. Als er sah, dass seine Mutter "durch ihr Blut" atmete, sprühte er ihr Rasierschaum ins Gesicht. "Damit sie tatsächlich verendet", wie er jetzt vor dem Landgericht Lübeck aussagte. Der 25-Jährige steht wegen Totschlags vor Gericht. In einem Sicherungsverfahren wird über seine Unterbringung in der Psychiatrie entschieden.

Die Staatsanwaltschaft Lübeck ermittelt auch gegen zwei Ärztinnen wegen fahrlässiger Tötung. Sie hatten Michael C. am Tag vor der Tat aus der Psychiatrie entlassen, hielten ihn für ungefährlich, obwohl er seinen Bruder verprügelt und das Klinikpersonal bedroht hatte. Etwa ein Jahr bevor er seine Mutter erschlug, war Michael C. im Sommer 2022 schon einmal zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen worden: Er war vor ein Auto gelaufen, wäre fast überfahren worden. Damals sah der Amtsarzt Eigen- und Fremdgefährdung.

Auch die Polizei schützte Renatte B. nicht. 100 Seiten umfasst die Abschrift ihrer Notrufe, die dem stern vorliegt. Sie liest sich wie das Protokoll einer angekündigten Katastrophe.

Erschienen in stern 17/2024