Renatte B. fürchtete um ihr Leben. 14 Mal wählte sie in den drei Tagen vor ihrem Tod die 110. Zwei Mal ging sie in Lübeck zur Polizeiwache. Die 55-Jährige hatte Angst, dass ihr Sohn Michael sie töten würde. "Mein Leben ist bedroht", sagte Renatte B. bei ihrem 13. Notruf und flehte: "Können Sie mich wo unterbringen, bitte?" Der Polizist antwortete: "Nö." Nannte ihr nicht mal die Adresse eines Frauenhauses, schickte sie zum nächsten Revier.
24 Stunden später war Renatte B. tot. Erschlagen von ihrem Sohn, der ihr mit einer Hantel das Gesicht zertrümmert hatte. 16 Mal drosch er auf ihren Kopf ein, brach ihr fast alle Gesichtsknochen. Als er sah, dass seine Mutter "durch ihr Blut" atmete, sprühte er ihr Rasierschaum ins Gesicht. "Damit sie tatsächlich verendet", wie er jetzt vor dem Landgericht Lübeck aussagte. Der 25-Jährige steht wegen Totschlags vor Gericht. In einem Sicherungsverfahren wird über seine Unterbringung in der Psychiatrie entschieden.
Die Staatsanwaltschaft Lübeck ermittelt auch gegen zwei Ärztinnen wegen fahrlässiger Tötung. Sie hatten Michael C. am Tag vor der Tat aus der Psychiatrie entlassen, hielten ihn für ungefährlich, obwohl er seinen Bruder verprügelt und das Klinikpersonal bedroht hatte. Etwa ein Jahr bevor er seine Mutter erschlug, war Michael C. im Sommer 2022 schon einmal zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen worden: Er war vor ein Auto gelaufen, wäre fast überfahren worden. Damals sah der Amtsarzt Eigen- und Fremdgefährdung.
Auch die Polizei schützte Renatte B. nicht. 100 Seiten umfasst die Abschrift ihrer Notrufe, die dem stern vorliegt. Sie liest sich wie das Protokoll einer angekündigten Katastrophe.