Nicht der Park ist der gefährlichste Ort für Frauen, sondern ihr Zuhause: Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die jetzt das Institut für Kriminologie der Universität Tübingen und das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen vorgestellt haben. Wissenschaftler der Institute hatten dafür die Polizeistatistik und die Strafakten von fast 300 versuchten und vollendeten Tötungsdelikten an Frauen in Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und in Nordrhein-Westfalen ausgewertet.
Alle Fälle stammen aus dem Jahr 2017, liegen also fast acht Jahre zurück. Man habe so weit zurückgehen müssen, weil die jeweiligen Verfahren abgeschlossen sein sollten, so die Verfasser der Studie.
133 Fälle werteten die Forscher als Femizide
Von den knapp 300 ausgewerteten Akten erwiesen sich der Untersuchung zufolge 133 als versuchte oder vollendete Femizide nach der Definition der Forschungsgruppe. Etwa ein Drittel der Frauentötungen werteten die Forscher als Femizide im engeren Sinne. Bei zwei von drei Fällen habe hingegen eher die strukturelle Diskriminierung eine Rolle gespielt.
Weil Femizide nicht als solche in amtlichen Statistiken festgehalten würden und es eine "kaum zu überblickende Zahl verschiedener Definitionen" dafür gebe, haben die Kriminologen, Psychologinnen, Sozialwissenschaftler und Juristinnen eine eigene "zweistufige Definition" bestimmt. Diese verbindet laut den Forschern sexistische Motive des Täters mit struktureller Diskriminierung von Frauen in Deutschland. Entscheidend sei, ob die Tat "einen Geschlechtsbezug aufweist". Beispielsweise, wenn der Täter einen Besitzanspruch hegt, seiner Partnerin nicht zugesteht, sich aus einer Beziehung zu lösen "und sie für ihre emanzipatorischen Tendenzen abstrafen will".
Als Femizid werteten die Wissenschaftler auch Tötungsdelikte, "wenn die Frau in einer stark von ihrem Geschlecht geprägten sozialen Rolle getötet wurde". Diese erweiterte Definition umfasst Frauen in Partnerschaften ebenso wie als Mütter oder als Sexarbeiterinnen.
Frauen werden meist von Partnern oder Ex-Partnern getötet
Mehr als 80 Prozent der versuchten und vollendeten Femizide wurden laut der Studie in heterosexuellen Beziehungen verübt. Wenn Frauen getötet werden, dann seien die Täter zumeist ihre Partner oder Ex-Partner. In drei von vier Fällen habe ein Trennungskonflikt oder – vermeintliche oder tatsächliche – Untreue eine Rolle gespielt. "Zur Tötung kam es in der Regel erst, wenn der Täter die Beziehung als endgültig gescheitert wahrnahm."
Überproportional häufig hatten laut der Studie sowohl Täter als auch Opfer einen Migrationshintergrund bei Partnerschaftstötungen – knapp die Hälfte der Täter und 45 Prozent der Opfer waren demnach Zuwanderer. Die Wissenschaftler liefern dazu eine mögliche Erklärung: Zahlreiche Frauen hätten versucht, sich zu emanzipieren, die Möglichkeit erkannt, in Deutschland ein selbstbestimmtes Leben zu führen und sich vom gewalttätigen Partner zu lösen. Diese Emanzipation "wurde in vielen Fällen der Auslöser der Tat".
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Wenn Frauen und ihre Partner aus einem stark patriarchalisch geprägten Land stammten, dann könne die gemeinsame Migration der "Katalysator" für den Trennungskonflikt in Deutschland werden, hieß es weiter. "Die Täter sahen sich oft in der Rolle des Familienversorgers, der Kontrolle über seine Partnerin beansprucht." Ohne Arbeit, sozial schlecht eingebunden, könnten sie diese Erwartung nicht erfüllen. Dies schwäche das Selbstwertgefühl vieler Täter und führe mitunter zu Konflikten in der Beziehung. Die Beziehung zur Partnerin werde zugleich die wichtigste Quelle für Anerkennung und den eigenen Selbstwert. Eine Emanzipation der Partnerin könnten Täter "als starke Krise und Angriff auf ihr Selbstwertgefühl erleben".
"Migrantische Frauen sind überdurchschnittlich gefährdet"
Die Taten lassen sich der Studie zufolge "nicht einseitig kulturell" oder allein mit der Herkunft erklären – am häufigsten stammten die zugewanderten Täter aus Afghanistan, Rumänien oder Syrien. Eine große Gruppe waren demnach Russlanddeutsche. Der größere Teil der Täter habe eine deutsche Staatsbürgerschaft. Allerdings bleibe festzuhalten: "Migrantische Frauen sind überdurchschnittlich gefährdet."
Migration, in Kombination mit Armut und sozialer Unsicherheit, könnte die Wahrscheinlichkeit für Gewalt in der Partnerschaft erhöhen, bilanzieren die Wissenschaftler. Weitere Risikofaktoren seien psychische Erkrankungen und Drogenabhängigkeit.
Opfer verständigen häufig nicht die Polizei – aus Angst
Die meisten Opfer der untersuchten Partnerinnenfemizide hätten es nicht gewagt, sich an die Polizei zu wenden oder ins Frauenhaus zu flüchten, "häufig aus Angst vor einer Eskalation", so die Forschergruppe. Frauen, die es dennoch riskiert hätten, hätten teilweise die Anzeige später zurückgenommen. In manchen Fällen habe die Polizei die Gefahr einer Eskalation falsch eingeschätzt. Drei Opfer hätten Schutz im Frauenhaus gesucht – aber dort keinen Platz bekommen.
Von den Männern, die ihre Partnerinnen 2017 getötet hatten, wurde laut der Studie nur die Hälfte wegen Mordes oder Totschlags verurteilt. Einige hatten sich nach der Tat das Leben genommen. Anderen habe nur Körperverletzung nachgewiesen werden können, ein Teil sei nach einem Sicherungsverfahren in die Psychiatrie eingewiesen worden. Nur in zwölf Fällen sei der Täter zur einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden.