Es gibt gute Nachrichten. Es gibt sehr gute Nachrichten. Und es gibt Nachrichten wie die, die mein Sohn mir Anfang September schickt.
Es geht los, schreibt er. Und löst einen Adrenalinstoß aus. Meine Kehle wird eng, die Augen feucht. Das Baby kommt.
Keine 24 Stunden später ist das Baby da. Das erste Kind meines Sohnes und seiner Lebensgefährtin fühlt sich an wie ein großes Wunder. Und es ist ja auch ein ganz besonderes Familienmitglied: Mit seinem ersten Atemzug hat der kleine Junge, ohne dass er es ahnen kann, eine neue Generation in unserer Familie begründet, die fünfte. Mein Sohn ist zum Vater geworden, ich, für mich selbst überraschend, zur Großmutter, meine Mutter zur Urgroßmutter, meine Großmutter zur Ururgroßmutter. Fünf lebende Generationen, die Älteste geboren in der Weimarer Republik, der Jüngste im Ampeldeutschland. Und eine jede mit einer anderen Perspektive auf die Welt, wie in einem Geschichtsbuch. Man kann darin lesen.
Das Familienwunderland
Eilig hat es der Junge gehabt, elf Tage früher als terminiert ist er da. Den Geburtstag seiner Ururgroßmutter verfehlt er knapp. Zwischen ihr und dem Baby liegen 102 Jahre und drei Tage. Ihren großen Ehrentag hatten wir gerade gefeiert, die Jubilarin hatte ihre schönste Bluse getragen, sich die Perlenkette umlegen und, ja, auf jeden Fall!, schminken lassen, Kaffee und Kuchen waren serviert worden und Eierlikör aus dem Schokoladenbecher, und per Videocall hatten mein Sohn und seine hochschwangere Lebensgefährtin gratuliert. Der nächste Geburtstag, nur 72 Stunden später, diesmal nicht als Tag der Erinnerung, sondern als Tag der Verheißung. So vieles, was auf ihn warten wird. Unser jüngstes Familienmitglied begeht ihn nach all der Anstrengung schlafend, noch verschmiert, in ein Handtuch eingewickelt. Ich bin so berührt, dass seither jeder Ton, den mein Telefon von sich gibt, zuerst sein Foto aufleuchten lässt und dann meine Augen.

Ich will das Familienwunderland vermessen und befrage das Netz. Wie oft passiert es, dass ein Neugeborenes seine Ururgroßmutter erlebt? Und überhaupt, schreibt man die mit Bindestrich oder ohne? Doch das Netz ist überfordert und führt mich zurück in eine andere Generation, als man auf der Suche nach Informationen nämlich ein Nachschlagewerk aus dem Regal zog. "Oxford Languages", der erste Treffer, Erkenntnisgewinn knapp über null: Mutter einer Urgroßmutter oder eines Urgroßvaters, fünf Silben, feminin, null Bindestriche.
Ich kann das Wort laut vorsprechen oder in alle Sprachen von Afrikaans (Oumagroot) bis Zulu (Ukhokho-khokho) übersetzen lassen, auch Finnisch geht, die machen es ganz ähnlich und wiederholen (ohne Bindestrich!) eine Silbe so oft, bis sie bei ganz, ganz, ganz alt ankommen: isoisoisoäiti. Mehr Infos haben auch "Der deutsche Wortschatz seit 1600" bis heute und der Duden nicht anzubieten. Wikipedia kürzt gar eine Silbe weg und damit eine ganze Generation. Die Recherche legt die Schlussfolgerung nahe, dass das Urur-großmuttertum zwar theoretisch existiert, aber praktisch unwahrscheinlich ist.