Interview "Abstimmung mit den Füßen"

An der Eberhard-Klein-Haupt- und Realschule in Berlin-Kreuzberg wird kein einziges deutsches Kind mehr unterrichtet. Direktor Bernd Böttig über gescheiterte Integration, neue Chancen und Abwasch nach der Kochstunde.

Sie leiten Deutschlands erste Schule, auf die kein einziger deutschstämmiger Schüler mehr geht. Ein komisches Gefühl?

Nein, per se ist das kein Problem. Warum sollten ausländische Kinder dümmer sein als deutsche? Unsere Schüler sind sehr nett und respektvoll, aufgeschlossen und neugierig. Die meisten schaffen einen Abschluss. Das große Problem ist die Sprache. Bei uns wird halt jedes Fach zum Deutschunterricht, sei es Sport, Mathematik oder Erdkunde.

Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Über die Jahre ist der Anteil der ausländischen Kinder in den Klassen ständig gestiegen. Inzwischen passiert es, dass wir von 45 Minuten Schulstunde 30 Minuten mit dem Erklären von Vokabeln verbringen. Das braucht ein deutsches Kind nicht, und so wurden eben neue nicht mehr angemeldet. Das war eine Abstimmung mit den Füßen. Bildungsbewusste ausländische Eltern schicken ihre Kinder auch lieber auf Schulen, wo sie mehr Deutsch sprechen müssen.

Was, wenn ein deutsches Elternpaar ihr Kind auf Ihre Schule schicken will?

Ich sage ihnen ganz klar, dass ich keine einzelnen deutschen Kinder haben will. Denn das Kind wird hier nicht glücklich, wenn es nicht versteht, was in den Pausen geredet wird.

Noch mal: Sie wollen keine deutschen Kinder?

Ich will natürlich deutsche Kinder, aber dann mindestens 40 Prozent. Dann sind die Deutschen nicht allein, und die Ausländer lernen von ihnen Deutsch. So absurd es klingt: Seit die letzten deutschen Schüler weg sind, haben wir hier weniger Probleme. Wir müssen uns nicht mehr darum kümmern, die Deutschen zu integrieren.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Müssten ausländische Schüler per Zwang in andere Stadtteile geschickt werden, um dort eine Chance zu bekommen?

Nein. Zwar ist die Integration in Berlin gescheitert, die Bevölkerung hier in Kreuzberg lebt sehr bewusst in ihrem selbst geschaffenen Ghetto. Wer hier lebt, schickt seine Kinder zu uns. Unsere Schüler kommen zu 80 Prozent aus türkischen Familien, 15 Prozent sind arabischstämmig, die anderen kommen aus verschiedenen anderen Ländern. Wir trauen uns durchaus zu, für diese Kinder einen interessanten Unterricht zu machen. Dafür müssen wir Pragmatiker sein und die Schüler da abholen, wo sie stehen.

Was bedeutet das konkret?

Wir müssen viele Aufgaben übernehmen, die früher Elternsache waren. Unsere Jugendlichen haben viel, Computer, eigene Fernseher. Was sie nicht haben, sind Erwachsene, die mit ihnen reden. Die meisten, die zu uns an die Hauptschule kommen, sind schon in der Grundschule gescheitert. Wir bieten ihnen einen Neustart. Die Kinder wissen: Hilfe bekommen sie nur von uns. Deshalb akzeptieren sie die Regeln. Wir legen Wert auf Pünktlichkeit, Umgangsformen, vor allem auf Gleichberechtigung. Wir sorgen dafür, dass unsere Jungs beim Kochunterricht den Abwasch nicht den Mädchen überlassen.

Engagierte Lehrer, ein modern saniertes Schulgebäude, Sozialpädagogen, die sich um die Schüler kümmern. Nicht überall sind die Bedingungen so gut. Woran fehlt es dann?

Das Problem ist die Perspektivlosigkeit. Unsere Schüler sind zu motivieren - aber nicht, wenn sie keine Aussicht auf eine Lehrstelle haben. Wir haben hier wesentlich weniger Schulabbrecher als an anderen Hauptschulen, die meisten verlassen uns mit einem Abschluss in der Tasche. Trotzdem gehen 90 Prozent der Abgänger direkt in staatlich geförderte Ausbildungsmaßnahmen, weil sie auf dem freien Markt keine Lehre finden.

Berlin hat dieses Schuljahr 13 000 Kinder ein halbes Jahr früher in die Grundschulen eingeschult.

Ist das sinnvoll? Die Kinder mit fünfeinhalb einzuschulen ist richtig. Bei bestimmten Kindern wäre ich sogar für einen Kindergartenzwang. Das sollte nach Sprachstand entschieden werden: Wer kein Deutsch spricht, muss in den Kindergarten, damit er dort Deutsch lernt.

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