Jagoda Marinić Depression wird bei Männern noch immer anders wahrgenommen als bei Frauen

Wenn Männer über ihre Gefühle reden ist das gut, wird aber immer noch anders betrachtet, als wenn Frauen das tun
Wenn Männer über ihre Gefühle reden ist das gut, wird aber immer noch anders betrachtet, als wenn Frauen das tun
© getty images
Sind Frauen mal traurig, heißt es: Immer diese Emotionen! Zeigt ein Mann Schwäche, jubeln dagegen alle: Was für ein Held!

Wann ist ein Mann ein Mann? Wenn er Gefühle kann. Männer plagen sich ab, Männer pumpen Muskeln auf, sie reden sich um den Verstand, dabei könnte das Leben so einfach sein. Wie, das erlebte ich kürzlich in meinem Podcast mit dem Komiker Kurt Krömer: ehrlich sein, sagen, was wehtut, was lachen macht. Vor fünfzehn Jahren aber, gestand er, hätte er ein solches Gespräch über seine Schwächen auf keinen Fall geführt.

Seither frage ich mich, ob unsere Gesellschaft sich für Männer anfühlen muss wie ein Aufputschmittel: lauf, Junge, lauf! Achte immer darauf, reich, stark, witzig, klug oder mächtig zu wirken! In seiner Talk-Sendung "Chez Krömer" hat Krömer mit diesen Erwartungen Schluss gemacht. Gemeinsam mit dem Komiker Torsten Sträter, der Schirmherr für die Deutsche Depressionsliga ist, zeigte er sich als Mann, der Depressionen hatte. Zwei Männer im Gespräch über ihre Verletzlichkeiten. Weich.

Sensationelle Offenheit

Normalerweise erwartet man in den Kommentaren unter so einem Youtube-Video irgendeinen Nonsens, in dem Welthass abgesondert wird, aber hier: massenweise Männer, die berührt waren. Männer, die vor dem Bildschirm geweint hatten und offenbarten: Ich kenne das auch. Gefühlsrede statt Hassrede. Ehrlich zu sagen, wie es einem wirklich geht, scheint in unseren Zeiten eine Sensation zu sein.

Jagoda Marinić
© Gaby Gerster

Jagoda Marinić

Die Schriftstellerin und Politologin Jagoda Marinić („Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?“, „Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land“) schreibt alle zwei Wochen – im Wechsel mit Micky Beisenherz – im stern.

Krömer und Sträter haben Millionen Menschen erreicht, weil sie diese Offenheit riskiert haben, ohne zu wissen, wie sie ankommt. Soeben erhielt die Sendung den Grimme-Preis, und harte Kerle bieten jetzt vermutlich ihre Luxusautos an als Tausch für einen der raren Therapieplätze. Jetzt muss Mann also mit einem Innenleben aufwarten können. Krömer wunderte sich über die Reaktionen, die es auslöste, wenn er einfach nur erzählte, dass er in einer Bahn geweint hatte. "Das reicht?", fragt er.

Es braucht das Unperfekte

Ja, es reicht. Es ist eine Befreiung und trifft trotzdem bei mir einen wunden Punkt. Denn reichen tut es eher, wenn man ein Mann ist. Männer werden in unserer Gesellschaft öffentlich immer noch leidenschaftlicher gefeiert als Frauen. Das Heldentum soll angeblich passé sein, aber das Publikum liebt seine Helden weiterhin, nun eben mit Schwächen. Es braucht sie einfach.

Ob Frauen öffentlich gebraucht werden, wissen viele noch immer nicht, dazu waren sie zu lange irrelevant. Als die Schriftstellerin Doris Lessing den Nobelpreis erhielt, spotteten viele: Das seien Texte voll mit Menstruationsberichten und Alltagssorgen. Frauen sind lästig, ihr Alltag ist keine hohe Kunst. Männer, die über Erektionsstörungen schreiben, sind künstlerisch hingegen Meistersänger der Conditio humana, von Philipp Roth bis Karl Ove Knausgård. Männer, die von ihrem Haarausfall reden, sind mutig.

Vor dem Gefühl sind eben doch nicht alle gleich

Frauen reden selten darüber, denn sobald sie Haarausfall bekommen, setzt man sie kaum mehr vor die Kamera. Als Nora Tschirner ihre Depressionen öffentlich machte, bekam sie ein Titel-Interview in einem Magazin, vergleichbar abgefeiert wurde sie jedoch nicht. Frauen fühlen ja sowieso immer!

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Aufmerksamkeit ist der Männer Lohn, das zeigt sich auch bei Rezos neuem Video zu Heidi Klums Frauenhass-Show "Germanys Next Topmodel". Es ging viral, als wäre das alles neu. Es ging aber nicht nur viral, weil Rezo alles so toll aufarbeitet. Es geht auch viral, weil viele Leute Rezo ernster nehmen als die betroffenen Frauen, die Heidi Klum schon vor Jahren demaskiert haben. Frauen, die wissen, wie es sich anfühlt. Aber, ey, das sind ja nur fühlende Frauen. Erst wenn ein Mann sagt, wie diese Frauen sich fühlen müssen, heißt es: wichtiges Thema.