Erschiene der stern in Italien oder Spanien, wäre er weiblich: La stella. La estrella. Doch im Deutschen ist er männlich, und das war ihm lange anzumerken.
Man kann die Geschichte der Darstellung von Frauen im stern nicht erzählen, ohne zugleich die Geschichte des Kampfs der Frauen gegen diese Art von Darstellung zu erzählen. Jahrzehntelang war da der Blick der männlich geprägten stern-Redaktionen und der Chefs auf Frauen. Doch die Frauen blickten zu jedem Zeitpunkt zurück. Je mehr Kraft sie fanden, den Männern das Gesehene zu spiegeln, desto dramatischer, filmischer, emanzipatorischer geriet die Auseinandersetzung.
Am Anfang war ein Hauch Emanzipation
Dabei begann der stern durchaus emanzipiert: Eine Frau wurde in der Nachkriegszeit zum Titelgesicht, wenn sie berühmt, erfolgreich, talentiert und natürlich auch schön war. Elizabeth Taylor im Pelz, Sophia Loren als europäische Oscar-Gewinnerin. Die deutsche Pilotin Hanna Reitsch und ihre Mutter, Queen Elizabeth II auf Deutschland-Besuch. Farah Diba, die spätere Kaiserin des Iran, bekam einen Titel im Jahr 1960, knapp 20 Jahre bevor die Mullahsan die Macht kamen. Mullahs, die auch heute die Frauen im Iran entrechten.

Jagoda Marinić schreibt in ihrer Kolumne über in die Welt, wie sie ihr gefällt – oder auch nicht gefällt. Sie ist Autorin verschiedener Bücher (zuletzt "Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?", "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land") und Host des Podcasts "Freiheit Deluxe". Als Moderatorin der Literatursendung "Das Buch meines Lebens" (Arte), fragt sie bekannte Persönlichkeiten, wie das Lesen ihr Leben verändert hat. Auf Twitter und bei Instagram findet man sie unter @jagodamarinic.
Doch als der stern sich politisierte, wurde er männlicher. Die Bonner Republik wurde zur Hauptdarstellerin. Es gab den Kalten Krieg und später die RAF. Diese Art der Maskulinisierung des Blicks auf die Welt, als wäre Realpolitik das hauptsächlich Erzählenswerte, verdrängte die erfolgreichen Frauen vom Cover. Die damaligen Redakteure schienen diesem Mangel mit einem Trick beikommen zu wollen: Sie bebilderten regelmäßig – etwa alle sechs Wochen, wie Henri Nannen später angab – Titelthemen mit nackten Frauen. Olympische Spiele? Seht her, eine Frau mit nacktem Po und olympischen Ringen darauf! Wohin treibt die SPD? Verkaufen wir die Frage doch mit einer Nackten unter der Dusche und etwas Glitzerschmuck um Hals und Gelenk. Man hört die Herren fast reden, wenn man diese Titel sieht.
Die sexuelle Revolution wurde vor allem dafür genutzt, diese von innen auszuhöhlen: Frauen wollen freie Liebe und Freizügigkeit? Bitte! Wir reduzieren sie sehr gern darauf. Den namhaften Titelfrauen der Nachkriegsjahre folgten namenlose Frauen, die als Sexobjekt dienen konnten. Die Fantasie der Spießer der Bonner Republik wurde regelmäßig bedient, selbst als "Mr. Tagesschau" Karl-Heinz Köpcke auf dem Cover posierte als typisch "deutscher Mann", ließ man noch eine blonde Frau vor ihm knien. Jedem deutschen Mann seine halb nackte Untertanin, bitte! Dabei wollten die Männer in der Redaktion bei der Erfüllung ihrer erniedrigenden Fantasien auch noch so tun, als gäben sie freien Frauen eine Plattform – und Jobs. Frauen, die sich daran störten, waren eben Spaßverderberinnen.
Die Reduzierung der Frauenbilder setzt ein
In dieser Zeit kam auch Brigitte Bardot nicht als erfolgreiche Schauspielerin aufs Cover; es ging vielmehr um die Probleme, welche die Kirche mit einer Frau wie ihr hatte. Im Jahr 1976 ging es um Frauen, die nicht stillen wollten. Das hätte emanzipatorisch wirken können, doch auf dem Cover stand das provokative Zitat, das in jener Zeit sicher keiner Frau viel Empathie entgegenbrachte: "Ich bin doch keine Kuh". Interessant ist, wie die Herren damals neben der Sexualisierung von Frauenkörpern vor allem die Moralisierung weiblicher Entscheidungen und Lebensweisen auf den Titel hoben – sie zeigten alles, was Frauen kleiner machte, in die Knie zwang, trotz oder gerade angesichts der Frauenbewegung.
Keine Romy Schneider auf dem Titel
Dabei war der stern Teil der Bewegung. Alice Schwarzer wollte die Kampagne "Wir haben abgetrieben" im stern veröffentlichen. 374 prominente und nicht prominente Frauen sollten am 6. Juni 1971 mit ihren Geschichten und ihrem Gesicht den Anfang der Enttabuisierung des Schwangerschaftsabbruchs einläuten. Bezeichnend ist jedoch, dass Schwarzer die Kampagne vor Henri Nannen retten musste. Der Chefredakteur wollte nur Romy Schneiders Gesicht auf dem Titel abdrucken, womit die solidarische Aktion zu einer Skandalgeschichte degradiert worden wäre. Alice Schwarzer erzählte später im stern, wie sie aus Misstrauen nach Hamburg gefahren war und das Cover, das allein Romy zeigte, noch verhindern konnte. Seitdem feiert der stern die Kampagne immer wieder mit Sonderberichten und Interviews im Heft. Je weiter das Ereignis zurückliegt, desto euphorischer.
Sieben Jahre nach "Abgetrieben" kam es 1978 zur Sexismus-Klage gegen den stern – wegen frauenfeindlicher Titelbilder. Zu den Klägerinnen zählten neben Alice Schwarzer die Schauspielerin Erika Pluhar, die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich, die Regisseurin Margarethe von Trotta. Ich feiere diese Frauen heute, weil sie den sexistischen männlichen Blick nicht hingenommen haben. Sicher wussten sie, dass sie vor Gericht scheitern, dass aber auch dieser Misserfolg der Bewegung etwas bringen würde. Der Richter Manfred Engelschall zollte den Frauen Respekt, als er ihre Klage aus formalen Gründen ablehnte. Nannen tobte mit ähnlichem Vokabular wie heute viele über "Woke" toben: Die Sittenwächter wollten die Freude verbieten und die Freiheit.

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?
Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.
Der stern ist über die Jahrzehnte hinweg ein Seismograf der Frauenbewegung gewesen. Nicht nur, was er zeigt, auch was er nicht zeigt, erzählt von den Rollenbildern, die unsere Geschlechteridentitäten bestimmten. Man sieht schon anhand der Titel das Bedürfnis der Redakteure jener Jahre, die sexuelle Revolution als Instrument zu missbrauchen, die Frauenbewegung zu schwächen und die eigene Dominanz wiederherzustellen. Es ist ihre männliche Fantasie, die entscheidet, welche weibliche Pose das Blatt ziert, schließlich gab es im Haus zu wenige Frauen an der Macht, die das hätten drehen können. Frauen schienen als Kundinnen zudem zweitrangig zu sein, man ging wohl davon aus, dass dank Ehegattensplitting der Mann das Geld für das Magazin verdiente. Die Wut der damaligen Klägerinnen auf den stern als Magazin, das in Arztpraxen auslag, auf Familientischen, das in der Breite der Gesellschaft ankam, sie ist angesichts der Cover jener Jahrzehnte fast tröstlich: Nicht alle Frauen haben sich diese Männerfantasien bieten lassen. Danke dafür!
Der stern hat mitgeprägt, welche Themen in unserer Gesellschaft als männlich und welche als weiblich betrachtet werden. Leider blieb er dabei meist bei den Klischees, zeigte Frauen, vorwiegend nackt, wenn es um Depressionen, Diäten und Rückenschmerzen ging. Ging es um die Stärke des Körpers, fand sich hingegen immer ein moderner Adonis, der seine Muskeln zeigt. Lange galt: Körperliche Stärke ist männlich, seelische Schmerzen sind weiblich.
Der stern hat es versucht, Frauen vor allem abzubilden. Es ist ihm jedoch nicht gelungen. Die Frauen blieben eben nicht passiv, nicht nur Bildmaterial. Sie klagten, kämpften, emanzipierten sich – mal gegen den stern, mal mit dem stern.
Greta Thunberg als neues Bild einer Frau
Eine Frau, die in den vergangenen Jahren dreimal auf dem Titel zu sehen war, ist eine Schülerin, die vor den Augen der Welt erwachsen wurde: Greta Thunberg im Kampf gegen die Klimakrise. Ihr Bild erzählt von der Größe der Katastrophe, aber auch von der Kraft der nächsten Generation junger Frauen. Im Iran riskieren Frauen ihr Leben für die Freiheit, in Belarus ebenso, in der Ukraine kämpfen viele von ihnen an der Front. Zuletzt waren im stern jedoch nicht diese Frauen auf dem Titel zu sehen, sondern unter anderen zwei Damen, die an der Spitze des Rechtsrucks in Europa stehen: Alice Weidel und Giorgia Meloni. Auch das ein Novum. Haben das mehrheitlich Männer oder Frauen im Haus entschieden? Und wie werden die anderen draußen damit umgehen? Werden Sie, liebe Leserinnen, dagegen ankämpfen? Zur Geschichte des stern würde es passen.