Jagoda Marinić Für Sie immer noch du!

Wofür stand das S im Namen der Partei nochmal?
Wofür stand das S im Namen der Partei nochmal?
© getty images
Das Wort "sozial“ war immer sehr wichtig in der deutschen Politik – vielleicht zu wichtig. Unsere Kolumnistin versteht es jedenfalls nicht mehr.

Seit der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist, frage ich mich immer wieder: Was genau bedeutet das kleine Wort „sozial“ eigentlich? Der Häufigkeit nach spielt es in der deutschen Politik eine große Rolle. Aber wird es noch gefüllt?

Da wäre die älteste bestehende Partei Deutschlands. Manchmal ist es, als hätte jemand das „sozial“ vorne drangeklebt, und kaum ein Sozialdemokrat weiß noch, weshalb. Den Spitznamen „Sozis“ finde ich ohnehin so befremdlich wie das Spontan-Du der Parteifreunde. Eine Art verbale Bussi-Bussi-Kultur.

Das inflationäre Geduze innerhalb Parteien

Ich war als Autorin bei verschiedenen Parteien für Vorträge eingeladen und habe festgestellt, die Grünen oder die Liberalen duzen sich genauso schnell. Das Sozi-Du allerdings fühlt sich ein paar Millimeter näher an, als würde einem gleich Gerhard Schröder mit wuchtiger Hand auf die Schulter klopfen: „Ja, du!“ Schon komisch, dass Bürger mit Anliegen förmlichst „Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin“ auf edle Briefköpfe schreiben, um Gehör zu finden, aber auf Partei-Events andererseits viele Leute einfach sagen: „Na, Manuela!“

Auch die Union hatte mal sozial im Angebot

Die „Soziale Marktwirtschaft“ ist eine Erfindung, die in der heutigen Preise-Verleih-Manie wahrscheinlich bald eine Auszeichnung als im-materielles Kulturerbe der Unesco erhalten wird, obwohl man sie seit Jahrzehnten aushöhlt. Wikipedia schreibt, die CDU habe die soziale Marktwirtschaft mit dem Bundestagswahlprogramm 1949 bekannt gemacht. Ich glaube das mal. Im Ahlener Programm von 1947 stand übrigens tatsächlich noch, die CDU lehne den Kapitalismus ab! Es gab mal einen einflussreichen Arbeitnehmerflügel in der CDU, der fürchtete, die soziale Marktwirtschaft könnte ein trojanisches Pferd sein, um hinterrücks den Leistungsdruck zu erhöhen. Was für Propheten! Ich vermute, solche Leute sind nach dem Tod des sozialen Heiner Geißler aus der CDU gegangen und haben Platz gemacht für Friedrich Merz, der sicher lieber Blackrock-Personal duzt als Parteikollegen.

Mit dem Godesberger Programm nahm sich die SPD des Sozialen in der Marktwirtschaft an. Viel später, mit Hartz IV, schälte sie den Begriff aber von ihr ab, wie man sonst nur die Haut vom Apfel schält: Die Form bleibt gleich, und er sieht doch ganz anders aus.

Was ist überhaupt sozial?

Seit der Krieg in der Ukraine tobt, frage ich mich, ob „sozial“ überhaupt noch etwas bedeuten will, politisch. Wie sozial ist eine Marktwirtschaft, die in so großen Teilen über die Energielieferungen eines Despoten am Laufen gehalten wird? Wie sozial ist eine Partei, die Putinfreund Schröder selbst jetzt noch Genosse nennt? Auf ein Ausschlussverfahren drängen bis heute nur einige SPD-Verbände, aber hey, immerhin werden es immer mehr. Vielleicht hoffen viele, Schröder werde eines Tages, wie Moses in der Bibel, das Wasser teilen zwischen der Ukraine und Russland und so den Frieden bringen. Schröders Frau betet bekanntlich dafür.

Jagoda Marinić
© Gaby Gerster

Jagoda Marinić

Die Schriftstellerin und Politologin Jagoda Marinić („Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?“, „Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land“) schreibt alle zwei Wochen – im Wechsel mit Micky Beisenherz – im stern.

Manuela Schwesig trieb als rote Ministerpräsidentin überengagiert die Nord-Stream 2-Stiftung voran. So sinnentleert wie der Begriff inzwischen ist, könnte man sagen: Sicher war sie sehr sozial zu russischen Oligarchen.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Der Bundeskanzler und die Waffen

Und wie sozial ist es, wenn Bundeskanzler Scholz der Ukraine eine Waffenliste zur Auswahl vorlegt, die den Ukrainern gegen den Aggressor nicht hilft? Es geht ja nur um Leben und Tod in diesen Tagen, man wird doch noch ein wenig „sozialdemokratisch“ schummeln dürfen.

Putin will diesen Krieg bis Anfang Mai gewinnen. An der Unterstützung für die Ukraine wird sich zeigen, wie viel Sozialdemokratie noch in der deutschen Sozialdemokratie steckt. Kein Fußbreit dem Faschismus, auch das war SPD.