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Es ist 6.15 Uhr in Fischbek, einem Dorf in Schleswig-Holstein. Der Tag mit Jasper beginnt mit einem Ritual. Nala, die Labradorhündin, läuft die Treppe in dem großen Einfamilienhaus hoch, stößt die Tür zu Jaspers Zimmer auf und springt auf sein Bett. Sie legt sich auf ihn, leckt seine Wange ab, peitscht mit ihrem Schwanz auf die Decke, unter die er sich verkrochen hat.
Draußen ist es dunkel. Und drinnen darf morgens nirgends Licht sein, das erträgt Jasper nicht. Seine Mutter sitzt bei Kerzenschein am gedeckten Frühstückstisch in der Küche. In ihrem Gesicht eine Müdigkeit, die sich 18 Jahre lang in sie eingeschrieben hat. Seit ihr Sohn Jasper da ist.

6.35 Uhr. In 25 Minuten steht der Fahrdienst vor dem Haus, der Jasper zur Werkstatt bringt. Er kommt jetzt runter, sein Gesicht halb verdeckt durch Haarfransen, sein Mund ein schiefes Grinsen. Außer Boxershorts und T-Shirt mit dem Aufdruck "Ich bin ein Faultier" hat er nichts an. Sein Vater, in Anzughose und weißem Hemd auf dem Sprung zur Arbeit, trägt ihm seine Cargohose und seinen Hoodie hinterher und beginnt, Brote für ihn zu schmieren. Dabei darf er die Scheiben nicht durchschneiden. "Jasper mag nur ganze Sachen", erklärt Janna Helberger*. Sie wissen inzwischen alles über die Vorlieben und Empfindlichkeiten ihres Sohnes.
Reize, die überfordern
Jasper ist Autist. Im Fachjargon sagt man, er leidet an einer Autismus-Spektrum-Störung. Autismus ist bei allen Betroffenen unterschiedlich ausgeprägt. Die Spannbreite reicht von Menschen mit schwerer geistiger Behinderung bis hin zu besonders Begabten. Gemeinsam ist allen, dass sie in ihren sozialen Fähigkeiten eingeschränkt sind, etwa weil sie Mimik nicht intuitiv verstehen, Augenkontakt vermeiden und Small Talk nicht beherrschen. Sie eint, dass sie von vielen Reizen überfordert sind, sich dann zurückziehen müssen und dass ihnen Details, die andere nicht sehen, sofort auffallen. Autismus ist nicht heilbar, aber durch frühe Förderung kann ein betroffenes Kind viel lernen, was ihm später hilft, im Umgang mit anderen klarzukommen.