Papst Johannes Paul II. Der alte Mann und die Krankheit

Während die Genesung von Papst Johannes Paul II. nach einer Not-OP normal verläuft, beschäftigt Gläubige wie Kurie die Frage, wer ihn im Vatikan beerben wird. Vielleicht etwas voreilig - bisher hat der zähe Pole sich stets erholt.

Papst Johannes Paul II. hat nach Angaben des Vatikans keine Infektion der Lunge. Der Papst könne nach dem Luftröhrenschnitt auch wieder alleine atmen, dürfe aber auf Anraten seiner Ärzte einige Tage nicht sprechen, hieß es im ärztlichen Bulletin, das am Freitagmittag vom Vatikan verbreitet wurde. Der 84-Jährige habe eine ruhige Nacht verbracht, erklärte Papst-Sprecher Joaquin Navarro-Valls.

Dennoch lesen sich manche Kommentare schon wie ein Nachruf. Vom ganz großen Papst sprechen die italienischen Medien: Er habe die Kirche verändert, er habe mitgeholfen, den Kommunismus zu stürzen, er habe die Versöhnung mit den Juden gesucht. Jetzt liegt der Frischoperierte im zehnten Stockwerk des Gemelli-Krankenhauses in Rom, die Fernsehkameras sind Tag und Nacht auf die Klinikfenster gerichtet, nachts ist die Szene in gleißendes Scheinwerferlicht getaucht. Es ist eine gespenstische Szene - streng abgeschirmt, doch zugleich unter den Augen der ganzen Welt ringt der "Medienpapst" mit seinem Leiden. Und die Gläubigen rund um den Erdball beten und fragen sich: Wie geht es weiter?

Der zähe Pole leidet schon lange öffentlich, fast demonstrativ trägt er sein Leid - eine Art "Kontrastprogramm" zum Jugendwahn dieser Zeit. "Das Stück heißt: 'Der alte Mann und die Krankheit'", meinte ein Reporter eines US-Fernsehsenders unlängst. Und es sind nicht nur Gläubige, die derzeit von der neusten Wendung in der Krankheit des alten Mannes in den Bann gezogen werden - doch jetzt hat das Stück plötzlich eine dramatische Wende genommen.

Albtraum für den Vatikan

Kaum ein anderer Mensch der Welt, meint ein italienischer Kommentator, wird medizinisch derart gut versorgt, von den besten Spezialisten Tag und Nacht umhegt. Doch Fachleute wie Laien wissen heute, dass dies auch zu einem Dilemma führen kann: Die Trennungslinie zwischen Leben und Tod wird in der modernen Hochtechnologie-Medizin unscharf und verwischt. Der Papst als Langzeit-Patient, der gar künstlich am Leben gehalten wird - das wäre ein Albtraum nicht nur für den Vatikan.

Bereits vor Jahren hatte die angesehene US-Zeitung "International Herald Tribune" zum Ärger des Vatikans ein Tabu gebrochen. "Es gibt keinen Mechanismus, um einen Papst zu ersetzen, wenn er chronisch verwirrt, senil oder im Koma ist", schrieb das Blatt über das Problem, über das Kardinäle, Bischöfe und Prälaten geflissentlich schweigen. Niemand in Rom wagt derzeit, solche Fragen auch nur zu stellen - zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

Wie geht es weiter an der Spitze einer der ältesten Monarchien der Welt? Der greise Papst bleibt nach dem Kirchenrecht absoluter Monarch, auch auf dem Krankenbett. Der Papst ist nach kirchlichem Verständnis der Stellvertreter Christi, über einen eigenen "Vize" verfügt er daher nicht. Das Papstsiegel darf niemand verwenden außer dem Pontifex - nicht ohne Grund muss es nach dem Tod eines Papstes sofort zerstört werden.

Zwar kann er verschiedene Aufgaben des Tagesgeschäfts an Kardinäle delegieren; die römische Kurie ist ein gut geöltes Räderwerk, wie Insider immer wieder betonen. Nur: Seit längerem schon hat die Krankheit des alten Mannes an der Spitze zum Schweigen des Vatikans in entscheidenden Fragen geführt, wie manche Experten kritisch bemerken.

"Die Arbeit an den großen Strategien ist unterbrochen ebenso wie an den Reformen, die an der Tür klopfen", bemängelte der Vatikanist der römischen Zeitung "La Repubblica" am Freitag. Stillstand nennen das die Kritiker, "Ende eines Pontifikats", nennt die Kirche diese Phase traditionell.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Ungeschminkte Frage nach der Zukunft

"Rom bereitet sich auf das faszinierende Geheimnis eines Konklave vor", titelte die Turiner Zeitung "La Stampa" am Freitag und meinte damit das streng geheime Ritual der Papstwahl, zu dem sich alle rund 120 wahlberechtigten Kardinäle der Welt in der Sixtinischen Kapelle versammeln. Niemand weiß, ob der alte und schwer kranke Papst sich noch einmal erholt - dennoch ist es ungewöhnlich für italienschen Medien, die Frage nach der Zukunft derart ungeschminkt anzusprechen. Das gab es vor der dramatischen Wende und der Notoperation noch nicht.

Vielleicht auch etwas voreilig: Neun Mal war der Papst in seinen gut 26 Amtsjahren bereits im Krankenhaus, schwer verletzt nach dem Attentat, später zu schwierigen Darmoperationen - bisher hat sich der zähe Pole stets erholt.

Eine ganze Reihe der heißesten Kandidaten für seine Nachfolge hat Johannes Paul II. bereits überlebt, seiner Gebrechlichkeit zum Trotz. Dennoch bleibt die brennende Frage, ob der nächste Papst wieder ein Nicht-Italiener sein soll oder ein Italiener die Geschicke des Heiligen Stuhls bestimmen soll. Vielleicht sollte der neue Stellvertreter Gottes auf Erden besser gar kein Europäer sein? Viele Mitglieder des Klerus sind der Ansicht, dass das nächste Oberhaupt aus der Dritten Welt kommen sollte, wo die Kirche so lebendig ist und wächst wie sonst nirgendwo. Die Kardinäle wissen, dass heute fast 65 Prozent der Katholiken in Afrika, Asien und in Südamerika leben.

Andererseits macht ihnen die Tatsache Sorge, dass das Christentum heute gerade in den Gesellschaften des Westens gepredigt werden muss, wo Materialismus und Individualismus viel weiter verbreitet sind als religiöse Opferbereitschaft. In einer zunehmend globalisierten Welt steht Experten zufolge zudem auch der Katholizismus vor der Aufgabe, mit Religionen zusammenzuarbeiten, die er vorher bekämpft, verurteilt oder gar ignoriert hat.

Rekorde am laufenden Band

Als Karol Wojtyla 1978 in das Amt gewählt wurde, war er ein unbeschriebenes Blatt. Die Überraschung elektrisierte die Welt. Er war einer der ganz wenigen Päpste, die sich ihren Weg aus der Armut heraus und nicht mit Hilfe einer privilegierten Herkunft erarbeitet hatten. Der damals kaum bekannte Geistliche hat inzwischen mehr Rekorde als alle seine Vorgänger gebrochen - mit seinen Reisen, Predigten, Büchern und nicht zuletzt als hingebungsvoller Skifahrer.

Dusko Vukovic mit Material von DPA