Als der Rechtsmediziner sein Gutachten zum Tod einer 12-Jährigen vorstellt, verlässt eine Frau den Gerichtssaal im Amtsgericht Detmold. Die Mutter des Kindes erträgt die Details nicht. Auch der Experte für Todesfälle kann am Ende nicht klären, woran das Kind gestorben ist. Dennoch spricht das Gericht ein Urteil.
Sechs Jahre nach dem Tod des Mädchens in einem Krankenhaus im Kreis Lippe hat das Amtsgericht einen Arzt wegen fahrlässiger Tötung zu einer Haftstrafe verurteilt. Der Mediziner soll für zwei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Wegen der langen Verfahrensdauer werden dem Arzt vier Monate der Haft erlassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Eine ebenfalls angeklagte Krankenschwester wurde freigesprochen.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Arzt gegen Sorgfaltspflichten verstoßen hatte. Zwar konnte die Todesursache auch durch mehrere Gutachter, darunter der Rechtsmediziner, nicht abschließend geklärt werden. Nach Überzeugung eines Experten für Kinderheilkunde hatte der 52-Jährige aber nach einem mehrtägigen Magen-Darminfekt eine falsche Infusionslösung verabreicht. Außerdem hätte er das geschwächte Kind in der Nacht besser überwachen lassen müssen. Die Mutter hatte in der Nacht erfolglos mehrmals Alarm geschlagen.
Das Gericht folgte mit den Urteilen der Forderung der Staatsanwaltschaft. Beide Verteidiger hatten sich für Freisprüche ausgesprochen. Die Anwältin der Eltern als Nebenkläger hatte sich für eine Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten für den Arzt und für eine Einstellung gegen eine Geldauflage für die Krankenschwester ausgesprochen.
Experte für Kinderheilkunde: Fehler gemacht
Der Gutachter für Kinderheilkunde, ein Experte des Kinderherzzentrums München, bescheinigte dem Arzt, der 12-Jährigen eine falsche Infusion gegeben zu haben. Das Mittel sei schlicht nicht geeignet gewesen und im Fall einer Austrocknung des Körpers sogar kontraproduktiv gewesen. Das hätte der Arzt auch im Beipackzettel nachlesen können. Ihm sei klar, dass das in der Praxis nicht geschehe. Es gehöre aber auch zum Standardwissen in der Kinderheilkunde. Warum der Kreislauf des Kindes am Ende versagte und die 12-Jährige nach über einer Stunde erfolgloser Reanimation gestorben ist, konnte der Gutachter am Ende auch nicht sagen.
Der Gutachter sprach in seinem Fazit von einem multifaktoriellen Geschehen. Es gebe nicht den einen Grund, warum das Mädchen gestorben sei. Aber die Vielzahl von Fehleinschätzungen und auch die mangelhafte Zusammenarbeit zwischen dem Pflegepersonal und dem Arzt sei entscheidend gewesen.
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Gutachter: Kein Fehlverhalten bei Krankenschwester
Ein Gutachter für das Thema Pflege sah bei der angeklagten Krankenschwester kein Fehlverhalten. Zwar sei nicht nachvollziehbar, warum das Mädchen nicht auf eine Überwachungsstation verlegt wurde. Aber der Angeklagten habe wegen mangelhafter Dokumentation bei ihrem Start um 6.00 Uhr in der Frühschicht schlicht die nötigsten Informationen gefehlt. "Sie ist am langen Arm verhungert", sagte der Pflegeexperte.
Die Eltern hatten das Kind an einem Abend im Dezember 2019 nach einem mehrtägigen Magen-Darm-Infekt mit Fieber mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus bringen lassen. Die Mutter hatte mehrmals in der Nacht Alarm geschlagen, nachdem sich der Zustand ihrer Tochter immer weiter verschlechtert hatte. Zuletzt hatte sie am Morgen eine Krankenschwester gerufen.
Widersprüchliche Aussagen
Nach Aussagen mehrerer Schwestern hatte der Arzt auf Anrufe nicht reagiert. Er war in der Nacht neben der Notaufnahme noch für zwei weitere Stationen zuständig. Er hatte am ersten Prozesstag ausgesagt, ihn hätten keine Anrufe erreicht. Das Gericht konnte im Verfahren nicht klären, welche Aussage stimmt.
Am Morgen kam das Mädchen auf die Intensivstation und wurde dort noch rund eine Stunde lang reanimiert – am Ende erfolglos. Die 12-Jährige starb gegen 9.00 Uhr.