Richard David Precht im Interview Brauchen wir mehr Verbote, Herr Precht?

Richard David Precht im Interview: Brauchen wir mehr Verbote, Herr Precht?
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In der neuen stern-Kolumne "Auf dem Weg nach morgen" schreibt Richard David Precht im wöchentlichen Wechsel neben Luisa Neubauer, Aleida Assmann und Harald Welzer.
Richard David  Precht: "Die ökologische Herausforderung – das ist der Klimawandel, der Ressourcenverbrauch, das ist die Art, wie wir mit der Natur umgehen – ist die größte Herausforderung der Menschheit im 21. Jahrhundert, wenn nicht sogar die größte Herausforderung, vor der die Menschheit je gestanden hat. Mein Name ist Richard David Precht. Ich bin Publizist und Philosoph." 
Nachhaltig Leben bedeutet:
Nachhaltig leben bedeutet, so zu leben, dass unsere Enkel noch einen bewohnbaren Planeten vorfinden. 
Wie setzen Sie das um?
Mal mehr mal weniger. Wie jeder andere auch. Ich alleine kann das nicht umsetzen.Es ist absolut wichtig, dass ich dabei die Hilfe der Politik bekomme. Zum biespiel habe ich keine Zeit, mein Leben so zu gestalten, welches nicht-recyclebare Plastik ich verbrauche und deshalb möchte ich, dass das verboten wird. Denn ich kann das auf Konsumentenebene gar nicht entscheiden.
Das heißt, wir brauchen mehr Verbote?
Ich glaube, dass wenmn wir jetzt keine Verbote machen, kommen wir in eine Ökodiktatur. Da gibt es einen unweigerlichen Zusammenhang, denn Verbote, die wir jetzt machen, sind Prävention. Wenn wir die Erde sich aber weiterhin um 2 Grad erwärmen lassen, dann haben wir es mit Hunderten Millionen Menschen, die auf der Flucht sind zu tun. Dann haben wir es mit überschwemmten Großstädten an den Küsten zu tun, mit unbewohnbaren Großstädten am Äquator, mit Ausbreitung von Tropenkrankheiten bis nach Europa _ dann werden wir, egal, welche Partei regiert in einer Ökodiktatur leben. Wenn wir die Ökodiktatur verhindern wollen, dann müssen wir jetzt Verbotspolitik machen.
Wie viele Verbote verträgt eine Demokratie?
Verbote und Demokratie passen hervorragend zusammen. Es gibt ganz viele Dinge, die Sie nicht dürfen. Das ganze Strafgesetzbuch besteht nur aus Verboten, was Sie nicht machen dürfen. Sie dürfen nicht bei Rot über die Ampel gehen, sie dürfen ihren Nachbarn nicht umbringen, sie dürfen Menschen nicht bestehlen. 
Also Verbote und Demokratie ist überhaupt kein Widerspruch. Verbote machen in einer Demokratie den Sinn, die Freiheit eines jeden Einzelnen vor Übergriffen zu schützen.
Ich wundere mich heute besonders über...
Ich wundere mich heute am meisten darüber, dass es Menschen gibt, denen ein SUV wichtiger ist als die Zukunft ihrer Kinder. 
In 100 Jahren werden wir...
Ich hoffe, dass wir in der Gesellschaft dazu kommen, dass wir in den nächsten Jahrzehnten lernen, mit weniger Ressourcen auszukommen und nicht so viel CO2 auszustoßen. Dass wir es schaffen, den unfassbaren Wohlstand, den diese Erde hervorgebracht hat, so zu verteilen, dass keiner mehr verhungern muss und aus diesem Grund zumindestens keine Kriege entstehen. 
Was brauchen wir dafür?
Wir brauchen einen Bewusstseinswandel, den man sehr einfach erklären kann. Irgendwann hat man einmal festgestellt im 18. Jahrhundert, dass es so etwas gibt wie Menschenrechte. Im 19. Jahrhundert hat man dann irgendwann die Idee formuliert, dass auch Frauen dazugehören oder dass Menschen in allen Ländern diese Menschenrechte haben. Und die müssen wir im 21. Jahrhundertentsprechend umsetzen. Wir müssen erkennen, dass ein Mensch, der im Kongo lebt, die gleichen Menschenrechte hat wie ein Mensch in Deutschland.
Was ist größte Aufgabe Ihrer Genration?
Ich gehöre einer Generation an, für die das Selbstverständlichste von der Welt ist, dass das Bruttoinlandsprodukt wächst und dass es den Menschen in den nächsten Jahren jeweils materiell besser gehen soll als den Menschen in der Generation davor oder in den Jahrzehnten davor. Das ist unendlich nicht durchzuziehen, und wir bezahlen dafür einen ganz, ganz blutigen Preis. Und davon abzukommen und einen stationären Zustand, wie John Stuart Mill das genannt hat, also einen Zustand des Genug zu erreichen, der tatsächlich ökonomisch funktioniert. Das weiß doch keiner, wie das gehen soll – und ist due Herausforderung.
Wie werden Menschen in 100 Jahren auf uns schauen?
Die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Wende hinbekommen, ist sehr gering. Wahrscheinlicher werden in 100 Jahren Menschen gar nichts mehr denken, weil es keine mehr gibt. Aber für den Fall der Fälle es gäbe noch welche, dann hoffe ich, dass sie nicht denken werden, warum waren die damals so uneinsichtig, dass nur ihre kurzfristigen Interessen gesehen haben und nicht ihre langfristigen. Sondern dass sie denken werden: Wie schön, dass es in der Mitte des 21. Jahrhundert eine so fundamentale Wende gegeben hat.
Philosoph Richard David Precht blickt skeptisch auf die Zukunft. Warum wir jetzt mehr Verbote brauchen und worin er die Aufgabe seiner Generation heute sieht, erzählt der stern-Kolumnist im Interview.