Versandhändler Quelle Die große Leere nach der Pleite

  • von Malte Arnsperger
Quelle wird abgewickelt, eine deutsche Institution verschwindet. Eva Schöller hat 32 Jahre für den Versandhändler gearbeitet. Nun steht sie vor dem Nichts.

Quelle ist für Eva Schöller*, 51, mehr als nur ein Arbeitgeber. Quelle hat ihr, der Ungelernten, vor 32 Jahren eine Chance gegeben, ihr Aufstiegsmöglichkeiten, Stolz und Selbstvertrauen verschafft. Quelle hat es ihr ermöglicht, ihre zwei Söhne alleine großzuziehen. "Man hatte immer das Gefühl, Teil einer großen Familie zu sein", sagt die hagere Frau mit ihrem rollenden fränkischen Dialekt.

Damit ist jetzt Schluss. Der traditionsreiche Fürther Versandhändler wird abgewickelt. Eine Unternehmenspleite unter vielen? Mitnichten. Mit Quelle verschwindet eine deutsche Institution - viele Mitarbeiter haben Jahrzehnte dort gearbeitet und können sich ein Leben ohne den Versandhändler gar nicht vorstellen.

Eva Schöller ist ein Beispiel dafür. Sie wächst in Nürnberg auf, macht den Hauptschulabschluss, beginnt eine Ausbildung, dann noch eine, bringt aber keine zu Ende. Ihr Vater rät, sie solle es doch mal bei Quelle versuchen. Das sei ein sicheres Unternehmen. In den 1970er Jahren bekommt die damals 19-Jährige ihren ersten Arbeitsvertrag als Sachbearbeiterin für eine Quelle-Tochter, sie wird von den Kollegen angelernt. 13 Jahre lang erfasst sie die Daten von Kunden, die Brillen bestellt haben. Anfang der 1990er Jahre wechselt sie als Disponentin in den Einkauf des Mutterkonzerns, sie arbeitet für den berühmten Quelle-Katalog. Ein beruflicher Aufstieg für Eva Schöller: "Ich war stolz, ich habe eine tolle Chance bekommen." Von nun an ist sie für den Einkauf von Elektrogeräten zuständig. Ihr Job ist bis heute der gleiche geblieben, nur die Ware hat sich verändert. Früher kaufte sie vor allem Videorekorder ein, in den vergangenen Jahren DVD-Spieler, Camcorder oder Flachbildfernseher.

Eva Schöller fühlte sich pudelwohl bei Quelle. Zumindest solange die Gründerin Grete Schickedanz an der Spitze stand. "Es war ein sehr soziales Unternehmen, man wurde als Mensch behandelt, nicht nur als Angestellter." Eva Schöller erinnert sich an den Wecker, den sie und ihre Kollegen anlässlich des 75. Geburtstags von Grete Schickedanz geschenkt bekamen. Zu ihrem eigenen zehnten Firmenjubiläum bekam Eva Schöller 600 Mark, einen extra Urlaubstag und ein Buch über die Geschichte der Firma.

Doch die verändert sich nach dem Tod der Seniorchefin 1994. Die Halbwertszeit der Manager an der Firmenspitze wird immer kürzer. 1999 folgt die Fusion von Quelle mit dem Warenhauskonzern Karstadt. "Es wurde unpersönlicher", erinnert sich Eva Schöller. Sie bleibt bei Quelle. Schließlich hat sie zwei Söhne zu versorgen. Und von Freunden und Bekannten bekommt sie stets zu hören: "Du hast ja einen bombensicheren Arbeitsplatz."

Daran glaubt auch Eva Schöller. Selbst dann noch, als das Klima immer rauer wird. Durch das Internet erwächst Quelle eine Vielzahl von Konkurrenten, das Kataloggeschäft wird schwieriger. Die Quelle-Beschäftigten verzichten freiwillig auf viel Geld. Auch Eva Schöller: "Insgesamt sicher ein Monatsgehalt. Aber das war es mir wert, ich wollte mithelfen, Quelle zu sichern." Um ihren Arbeitsplatz machte sich Eva Schöller keine großen Gedanken. "Ich war nach 25 Jahren im Unternehmen praktisch unkündbar. Außerdem hat niemand von uns gedacht, dass es mal richtig schlimm werden würde."

Aber es wurde schlimm. Im Juni dieses Jahres musste der Quelle-Mutterkonzern Arcandor Insolvenz anmelden. Die Auswirkungen bekommt Eva Schöller hautnah mit. Monatelang kann sie keine Fernseher, Kameras oder DVD-Spieler kaufen, die Lieferanten sperren sich, sie warten ab, was mit Quelle passiert. Dank eines kurzfristigen Kredites läuft das Geschäft ab September langsam an, Eva Schöller kann endlich wieder bestellen, der neue Quelle-Katalog kann erscheinen. "Wir haben uns Hoffnung gemacht", sagt sie.

Zwei Kündigungswellen im Herbst übersteht Eva Schöller. Mit den verblieben Kollegen scherzt sie noch am vergangenen Freitag. Einer fragt: "Was machen wir denn, wenn wir alle entlassen werden? Dann sehen wir uns ja gar nicht mehr?" Eva Schöller meint: " Lasst uns doch einen Arbeitslosenstammtisch gründen. Genug Leute wären wir ja."

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?

Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.

Nachricht von der Pleite durch einen Journalisten erfahren

Am vergangenen Wochenende geht Eva Schöller ins Fitnessstudio, das hilft ihr gegen den inneren Druck. Zuhause diskutiert sie mit ihrem älteren Sohn. Der studiert Betriebswirtschaft und sagt: "Mama, das mit Quelle wird nichts mehr. Schau lieber mal in die Stellenanzeigen."

Eva Schöller will es aber nicht glauben. Auch nicht, als am Montag im Intranet erste Gerüchte über die bevorstehende Pleite auftauchen. Am Dienstag um 8.30 Uhr geht Eva Schöller zur Arbeit. Sie ahnt nichts. Ein Journalist wartet vor dem Quelle-Gebäude und fragt: "Wie fühlen Sie sich jetzt, da Quelle pleite ist?"

Eva Schöller fühlt sich - leer. Nach 32 Jahren steht sie vor dem Nichts. Sie ist mit 51 Jahren wohl zu alt, um auf dem Arbeitsmarkt eine Chance zu haben. Zudem hat sie keine Ausbildung und kennt nur einen einzigen Betrieb: Quelle. Sie blickt schweigend in den Himmel über dem Quelle-Komplex. Dann sprudelt es aus ihr heraus. "Ich weiß wirklich nicht, was aus mir werden soll. Ich habe Zukunftsangst, ich bin so unsicher. Ich habe mir doch so viel aufgebaut, und jetzt ist alles kaputt."

Wann genau sie arbeitslos sein wird, weiß Eva Schöller noch nicht. Doch wahrscheinlich wird sie zu den Ersten gehören. Einkäufer braucht jetzt bei Quelle keiner mehr. In eineinhalb Wochen dürfte Schluss sein, fürchtet sie. In den Betrieb will sie trotzdem jeden Tag gehen. Schließlich komme das Arbeitsamt ja sogar in den Betrieb, hat sie auf der Betriebsversammlung erfahren. "Der Gang zum Arbeitsamt bleibt mir also erspart. Welch ein Privileg!"

Eva Schöller will auf jeden Fall wieder einen Job. "Ich bin zu stolz, um von Hartz IV zu leben", sagt sie. "Wenn es sein muss, dann gehe ich auch putzen, um meine Söhne weiter zu unterstützen. Wenigstens die sollen eine gute Ausbildung bekommen." Ihr ältester Sohn will mit der Mutter Bewerbungen schreiben. So etwas hat Eva Schöller noch nie gemacht. Warum auch? Sie war doch bei Quelle.

*Name von der Redaktion geändert

Mehr zum Thema