Schwere Misshandlungen und sexueller Missbrauch im frühen Kindesalter können bleibende Hirnschäden verursachen. Sie verändern vor allem die Entwicklung des so genannten limbischen Systems, wie der amerikanische Psychiater Martin Teicher in »Spektrum der Wissenschaft« berichtet. In Kernspintomographien konnte der Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen frühen Misshandlungen und einer Verkleinerung der beiden limbischen Hirnregionen Hippocampus und Amygdala im Erwachsenenalter nachweisen.
Schlechteres Gedächtnis
Der Hippocampus ist den Angaben zufolge wichtig für die Bildung und Wiedergewinnung von Gedächtnisinhalten. Daher schneiden laut Teicher Erwachsene, die als Kinder misshandelt wurden, bei Gedächtnistests meist schlechter ab als Kontrollpersonen ohne solche Erfahrungen. Die Amygdala habe die Aufgabe, den emotionalen Gehalt einer Erinnerung zu erzeugen - beispielsweise Gefühle, die mit Furcht und aggressiven Reaktionen zusammenhingen.
Linke Hirnhälfte unterentwickelt
Die Forscher um Teicher verglichen unter anderem 15 gesunde Freiwillige mit 15 Patienten aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die nachweislich schwer misshandelt oder sexuelle missbraucht worden waren. Bei diesen hatte sich die rechte Gehirnhälfte, die vor allem räumliche Informationen verarbeitet und sich besonders mit negativen Gefühlen befasst, den Angaben zufolge genau so entwickelt wie bei den Kontrollpersonen. Doch die linke Hälfte, die darauf spezialisiert ist, Sprache wahrzunehmen und auszudrücken, hinkte deutlich hinterher.
Damit legten die Wissenschaftler ein Modell dafür nahe, wie eine so genannte Borderline-Persönlichkeitsstörung entstehen kann: Unzureichende Integration der Hirnhälften ließen diese Patienten unvermittelt von links- zu rechtshemisphärisch dominierten Zuständen wechseln - mit höchst unterschiedlichen emotionalen Wahrnehmungen und Erinnerungen. Eine derart einseitige Dominanz einer Gehirnhälfte könne einen Menschen veranlassen, Freunde, Familie und Mitarbeiter abwechselnd übertrieben positiv und überwiegend negativ zu sehen, erklärten die Psychiater. Dies sei ein typisches Kennzeichen für eine Borderline-Störung.
Borderline noch nicht genug erforscht
An Borderline leiden etwa zwei Prozent der Bevölkerung. Die Patienten können ihre Affekte nur schlecht kontrollieren. Eine Achterbahn der Gefühle oder auch ein chronisches Gefühl der inneren Leere sind mögliche Folgen. Selbstmordversuche, Selbstverstümmelungen und extreme Stimmungsschwankungen sind die typischen Symptome. Auch Essanfälle, Erbrechen und Alkohol- oder Drogenmissbrauch können Hinweise auf die Erkrankung sein, deren Ursache noch weitgehend unbekannt ist und an der meist Frauen leiden.