Wäre es nach Luisa Herpig, 33, und ihrem Partner gegangen, hätten sie noch ein paar ruhige Tage genossen. Doch dann platzte die Fruchtblase, und die Wehen setzten ein. Das Baby will wohl schneller kommen. Für die Feinoptikerin ist es das erste Kind. Die junge Frau mit dem dicken, dunkelbraunen Pferdeschwanz klingt pragmatisch: "Hauptsache, unserem Sohn geht’s gut." Gleichmäßig klopft der Wehenschreiber vor sich hin, fast als wolle er Herpigs Wunsch Nachdruck verleihen. Hebamme Henriette Misztrik schiebt den Sensor des Geräts auf Herpigs Bauch vorsichtig etwas tiefer, als sich die nächste Wehe ankündigt: "Tief in den Bauch atmen, genau so, Sie machen das richtig toll", ermuntert die Hebamme die Schwangere. In kurzen Abständen pustet Luisa Herpig die Luft hörbar aus. "Ahhhhhhh, das tut ganz schön weh."
Rund 738.000 Kinder erblicken jedes Jahr in Deutschland das Licht der Welt. Beim Gebären zu unterstützen ist aber nur ein Bruchteil der modernen Geburtsmedizin. "Wir betreuen die Frauen schon kurz nach der Empfängnis, wachen während der Schwangerschaft über Mutter und Kind und kümmern uns früh darum, damit im Kreißsaal alles reibungslos läuft", sagt Ekkehard Schleußner, 62 , Chefarzt der Geburtsmedizin der Uniklinik Jena. Schleußner, vierfacher Vater und dreifacher Großvater, machte vor 37 Jahren als Medizinstudent der Berliner Charité ein Praktikum im Kreißsaal in Jena. Bereits in den ersten Stunden entschied er, dass er hierhergehört. Bis auf kurze Unterbrechungen blieb er Jena treu, 2005 kehrte er endgültig zurück und übernahm die Klinikleitung. Ein Traumberuf, wie er sagt. Schleußner hat gern selbst alles im Blick. Auch heute wird er den ganzen Tag zwischen Ambulanz und Kreißsaal, zwischen Geburts- und Frühchenstation pendeln. "Man sieht es mir vielleicht nicht an, aber 10.000 Schritte schaffe ich locker am Tag", sagt er im sächsischen Singsang.

Auch die Schwangerschaftsbetreuung ist Teil der Geburtshilfe
Seinen nächsten Zwischenstopp legt Schleußner bei Kreißsaal 4 ein. Er will kurz nach Luisa Herpig schauen. Vor zwei Tagen kam sie in die Klinik, nachdem sie zu Hause ihren Blutdruck gemessen hatte, der bei ihr schon seit einiger Zeit schwankte und immer mal wieder deutlich gestiegen war. Diesmal zeigte das Gerät 180/100 mmHg an, damit war der Druck viel zu hoch. Normal sind 120/80. Hohe Werte können auf eine Schwangerschaftsvergiftung hindeuten, eine Komplikation, die für Mutter und Kind gleichermaßen gefährlich ist. Also ließ Herpig sich von ihrem Mann ins 20 Minuten entfernte Jena fahren. "Unser Sohn ist ein absolutes Wunschkind. Wir wollten bei der Geburt nichts riskieren und darum auf jeden Fall in die Uniklinik", erzählt Ehemann Jonas Tabbert, während seine Frau sich noch von der Wehe erholt. Eine gute Entscheidung, denn nicht nur Luisa Herpigs Blutdruck war auffällig. "Das Kind erschien uns bei der Kontrolle im Ultraschall sehr groß. Das kann ein Hinweis auf zu hohe Blutzuckerwerte der Mutter sein", sagt Tanja Groten, die stellvertretende Klinikdirektorin. Eine Blutentnahme bestätigte den Verdacht.