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Tatsache oder Trugschluss Ist es schädlich, die Beine übereinanderzuschlagen?

Wer die Beine verkreuzt, sitzt zwar bequem, bezahlt dafür aber mit Krampfadern und anderen schlimmen Dingen. Heißt es. Doch stimmt das eigentlich?

Die Auflösung

Kaum eine Sitzposition ist so beliebt und gefürchtet zugleich wie das Übereinanderschlagen der Beine. Es verhindert ungewollte Einblicke, wenn der Rock zu kurz ist, und ist schlichtweg bequem, sodass viele Menschen es gar nicht merken, wenn sich unter dem Schreibtisch die Beine ineinander verknoten. Doch werden wir uns dieser Sitzposition gewahr, entwirren wir sie blitzschnell. Denn, so haben wir es gelernt, gekreuzte Beine verursachen Krampfadern und Schlimmeres. 
Die vermeintliche Erklärung dafür klingt einleuchtend: Durch das Übereinanderschlagen werden die Unterbeine abgeklemmt, es kommt zu Lähmungserscheinungen oder Blutstau und damit zu Krampfadern.
Doch tatsächlich halten derlei Begründungen keiner wissenschaftlichen Prüfung stand. Die gefürchteten Risiken im Wissenschaftscheck. 

1. Dadurch werden Nerven abgeklemmt 

Nun, dauerhaftes Ausharren in so ziemlich jeder Position führt irgendwann zu Lähmungserscheinungen, die sich in Form von Kribbeln bemerkbar machen. Beim Beinekreuzen ist das nicht anders und darauf zurückzuführen, dass etwa der Wadenbeinnerv (Nervus peroneus) abgeklemmt wird. Im krassesten Fall führt das zur sogenannten "Peroneuslähmung" - infolge derer die Fuß- und Zehenhebung nicht mehr funktioniert. Doch in einer südkoreanischen Studie, die die Ursachen für diese Lähmungserscheinung untersuchte, kam das Beinekreuzen nicht vor. Das Sitzen im Schneidersitz, was durch seine große Bedeutung in der Meditation und im Yoga gemeinhin als gesunde Pose gilt, dagegen schon. Grund dafür, dass das Beineübereinanderschlagen nicht ursächlich ist, dürfte sein, dass kaum jemand bis zur Lähmung in dieser Position verharrt. Denn sobald uns eine Position unbequem wird, wechseln wir sie naturgemäß - es sei denn wir sind gerade in Trance. Die Wahrscheinlichkeit einer Lähmungen geht also gegen Null.

2. Davon bekommt man Krampfadern

Doch wie steht es um Krampfadern? Sie dürften vor allem unter Frauen der meist gefürchtete Grund sein, die Beine immer schön parallel zu halten. Krampfadern entstehen, wenn die kleinen Ventile in unseren Adern, die dafür sorgen, dass das durchgepumpte Blut nicht zurückfließen kann, beschädigt sind. Dann kommt es zu einer Blutstauung, die die Venen unschön nach außen treten lassen. Doch die Entstehung von Krampfadern konnte bislang nicht in Zusammenhang mit dem Beinekreuzen gebracht werden. Unter anderem deswegen, weil die meisten Venen viel zu tief liegen, um vom Druck des anderen Beins abgedrückt zu werden. Ob man oder frau Krampfadern bekommt oder nicht, ist vielmehr eine Frage der Genetik. 

3. Davon steigt der Blutdruck

Tatsächlich belegen verschiedene Studien, dass das Beinekreuzen den Blutdruck temporär steigen lässt. Doch er sinkt mit Auseinanderschlagen der Beine ebenso rapide wieder ab. Den Beweis für einen negativen Langzeiteffekt gibt es nicht. Gefährdet sind lediglich Menschen mit Neigung zu Blutgerinnseln. Ihnen wird geraten nicht über längere Zeit die Beine übereinanderzuschlagen. Denn ihr Risiko für tiefe Venenthrombosen kann dadurch erhöht werden. 

4. Es führt zu Haltungsschäden 

Menschen, die mehr als drei Stunden täglich mit gekreuzten Beinen sitzen, neigen dazu, eine gebeugtere Haltung einzunehmen. So lautet das Ergebnis einer Studie. Allerdings beruht dieses Ergebnis lediglich auf der Einschätzung der Probanden. Sprich: wie lange sie glaubten, täglich so da zu sitzen. Doch da wir diese Pose meist unbewusst einnehmen, dürfte eine Schätzung der genauen Zeit äußerst schwierig und derlei Rückschlüsse vage sein.
Eine andere Studie der Erasmus Universität in Rotterdam hält vielmehr mit einem gesundheitlichen Nutzen  des Beineübereinanderschlagens dagegen: Darin wurden junge Frauen und Männer untersucht, entweder mit parallel zueinander gestellten Beinen, mit übereinandergeschlagenen Knien und mit einer Überkreuzung von Knie- und Fußgelenken zugleich - quasi das doppelte Bein-Übereinanderschlagen. Diese Positionen bildeten sie dann in Modellen nach, um zu untersuchen, wie die Muskeln dabei beansprucht werden. Schlägt man die Knie übereinander, so wird dabei der Hüftmuskel Piriformis zu 12 Prozent mehr gedehnt - als wenn die Beine parallel stehen. Und zu 21 Prozent mehr, als wenn man steht. Die Autoren schließen daraus, dass das Übereinanderschlagen der Beine die Stabilität der Beckengelenke erhöht. 

Fazit: 

Die Befürchtungen, gekreuzte Beine könnten schädlich sein, sind zahlreich. Doch belegt sind sie so gut wie nicht. Einzig Patienten mit erhöhtem Risiko für Blutgerinnsel sollten auf das Beinekreuzen verzichten. Für die meisten anderen dürfte die Sitzhaltung nicht nur eine außerordentlich bequeme Sitzposition sein,  sondern gar eine zuträgliche. 
mh

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