Pharmaindustrie Neue Medikamente ohne Mehrwert

Die Studie eines unerschrockenen Duos deckt auf: Neue Arzneien bringen den Patienten oft verschwindend wenig. Die Pharmaindustrie scheint in der Innovationskrise zu stecken.

Harte Zeiten für die Pharmabranche in Deutschland. Erst im April gab das höchste Gremium im Gesundheitswesen, der Gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen, Ärzten und Kliniken, den Startschuss für neue Bewertungen von bereits seit Jahren breit angewendeten Umsatzknüllern in Deutschland.

Bis Herbst müssen die Hersteller deshalb Berichte unter anderem zu Schmerzmitteln, Medikamenten gegen Osteoporose, Antidiabetika und Antidepressiva vorlegen. Kommen die offiziellen Prüfer zu dem Ergebnis, dass der Mehrwert für die vielen tausend Patienten, die die Arzneimittel bekommen, weit geringer ist, als von Ärzten landauf, landab gedacht, droht dem jeweiligen Unternehmen ein massiver Umsatzverlust.

Doch jetzt kommt es noch härter für die Konzerne. Der vor provozierenden Ansagen nicht zurückschreckende Chef der #link;http://www.stern.de/wirtschaft/versicherung/techniker-krankenkasse-90321307t.html;Techniker Krankenkasse (TK)#, Jens Baas, tritt mit dem wegen seines Rufs als Pharmakritiker bei den Unternehmen ohnehin wenig geliebten Bremer Forscher Gerd Glaeske an die Öffentlichkeit - mit einer eigenen Studie, deren Ergebnisse einer Kampfansage an die Arzneihersteller gleichkommen: Echte Verbesserungen seien bei ihren neuen Produkten absolute Ausnahme.

14 von 23 Pillen ohne Zusatznutzen

Die offiziellen Verfahren, die den Bewertungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zugrunde liegen, seien ja gut, sagt das Duo. Auch die zugrundeliegende Arzneireform AMNOG sei zu loben. Aber wenn man nun auch die Daten von Millionen Versicherten, die die Arzneien tatsächlich teils einnehmen, auswerte, dann sei das doch eine gute Ergänzung, lobten die Experten ihre Studie.

"Was ist eine echte Innovation und wo geben wir einfach nur mehr Geld aus?", fragt Baas. Das müsse er als Verantwortlicher für 8,4 Millionen Versicherte wissen. "Es ist wichtig zu fragen, wie die Mittel angewendet werden", meint Glaeske.

Baas fasst den herausgekommenen, 218 Din-A-4-Seiten dicken Innovationsreport 2013 über die neuen Arzneien des Jahres 2010 so zusammen: "Die Ergebnisse haben gezeigt, dass von den 23 Medikamenten, die neu auf den Markt gekommen sind, nur 1 wirklich in allen Dimensionen einen Zusatznutzen gebracht hat, 8 Medikamente waren fraglich - in machen Dimensionen Zusatznutzen, in manchen nicht sehr ausgeprägt. Der ganze Rest hatte keinen relevanten Zusatznutzen."

"Wir haben eine Innovationskrise"

Dazu legt Glaeske eine Tabelle vor. Alle rot markierten Medikamente sind - so muss man das wohl lesen - Flops. Darunter zum Beispiel, von A bis Z, Multaq bei Vorhofflimmern, Prolia gegen Osteoporose, Sycrest gegen manische Phasen oder Urorec bei Prostata-Vergrößerung. Insgesamt haben der Studie zufolge 14 Mittel keinen Zusatznutzen. Die Krankenkassen zahlen dafür laut Baas 68 Millionen Euro. Das könnten sie sich folglich sparen.

"Ich glaube nicht, dass wir eine Produktivitätskrise haben", sagt Glaeske, "wir haben eine Innovationskrise." Das soll wohl heißen: Die Pharmakonzerne bringen ständig neue Produkte auf den Markt, die nichts nützen.

Die Hauptgeschäftsführerin des Pharmaverbands vfa, Birgit Fischer, kontert: "Dieser Bericht ist interessengeleitet - hier geht es nur um die Rechtfertigung von Kostensenkung, nicht um eine gute Versorgung von Patienten." Der Verband will am 10. Juni die Medikamente von morgen vorstellen.

Nutzenbewertung zur Gefahrenprävention

Glaeske betont, ums Geld gehe es ihm gar nicht. Sondern darum, dass die Patienten möglichst gute Mittel bekommen. Und darum, dass in den Pillen keine bisher unerkannten Risiken lauern. Zwar werden neue Arzneimittel vom Gemeinsamen Bundesausschuss einer frühen Nutzenbewertung unterzogen. "Aber um zum Beispiel unerwünschte Wirkungen bei einem von 10.000 Patienten herauszufinden, braucht man Erfahrungen mit 40.000 Patienten."

Die gibt es anfangs noch nicht. Um Kranke vor Gefahren aus dem Pharmalabor zu schützen, braucht es deshalb laut dem Forscher eine spätere Nutzenbewertung, wie er an die Adresse des Bundesausschusses sagt. In dem im Berliner Bezirk Tiergarten ansässigen Gremium will man sich auf Anfrage zu der Forderung erst einmal nicht äußern.

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awö/DPA

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