Der Fotograf Gregory Crewdson Ein Hopper für heute

  • von Irmgard Hochreither
Aufwändig wie Hollywood-Produktionen sind Gregory Crewdsons fotografische Inszenierungen, in denen er den amerikanischen Alltag porträtiert: Desperate House Lives zwischen Blümchentapete und Kingsize-Bett, zwischen Supermarkt und Vorstadtvilla.

Fahles Licht fällt durch die zugezogenen Vorhänge ins Schlafzimmer. Auf dem Fußboden verstreut liegen Kleidungsstücke, Damenpumps, eine Handtasche, auf dem Bett ein Beauty-Case, neben dem Nachttisch zwei himmelblaue Koffer. Durch die geöffnete Tür fällt der Blick ins Badezimmer, auf den nackten, schlanken Körper einer Frau undefinierbaren Alters, die mit verlorenem Blick auf die Fliesen starrt. Was ist in diesem düsteren Hotelzimmer geschehen? Ist die einsame Reisende hierher geflohen? Sitzt ihr die Angst im Nacken? Ist sie angeekelt, enttäuscht von ihrem Leben? Hat ihr Geliebter sie vielleicht versetzt? Spielt sie womöglich mit dem Gedanken an Suizid?

Alptraumhaft wirkt das Szenario, das den Betrachter zum voyeuristischen Zeugen einer beklemmenden Situation macht. Die Phantasie läuft Amok. Was aussieht wie ein Standfoto aus einem Psycho-Thriller von David Lynch, ist das Werk des amerikanischen Fotokünstlers Gregory Crewdson. "Beneath the roses" hat der New Yorker seine jüngste Serie großformatiger Bilder genannt, auf denen der amerikanische Alltag zwischen Blümchentapete und Kingsize-Bett, zwischen Supermarkt und Vorstadtvilla zum Horror-Trip gerät. Eine Art Desperate House Lives auf Fotopapier. Wie kein anderer versteht es Crewdson das Grauen in die scheinbare Idylle einsickern zu lassen. Und damit unser Kopf-Kino auf Touren zu bringen.

150 Mitarbeiter planen alles bis ins kleinste Detail

Um seine unheimlichen Bilder-Welten zu erschaffen, betreibt der Foto-Maniac einen monströsen Aufwand, der mit jeder Hollywood-Produktion konkurrieren kann. Rund 150 Mitarbeiter planen unter seiner Regie jedes Motiv bis ins allerkleinste Detail. Da lässt er hunderte von Menschen casten, Nebelmaschinen anwerfen, Kreuzungen unter Wasser setzten, ganze Straßenzüge absperren und Häuser abfackeln, damit die faszinierend-abstoßenden Un-Orte, jenseits der alltäglichen Banalitäten, Realität werden. Als "gerahmte Filme" will der 43-Jährige seine Arbeit verstanden wissen. "Was ich an einem Foto liebe", erklärt er, "ist, dass die Betrachter immer ihre eigenen Geschichten, ihre eigenen Phantasien in das Bild einfließen lassen."

Schon der kleine Gregory lauschte an Daddys Tür

Ängste, Einsamkeit, Geheimnisse, Sexualität, das sind die Themen, die den Sohn eines Psychoanalytikers aus Brooklyn seit jeher umtreiben. Inspiration für seine Foto-Movies soll er schon als Kind gesammelt haben, indem er mit dem Ohr an der Tür zu Vaters Praxis lauschte, während die Patienten auf der Couch ihre Träume und Abgründe offenbarten. Auch wenn er bei seinen kindlichen Lauschangriffen in Freud'scher Atmosphäre den wahren Sinn des Gesagten nicht verstand, wuchsen der Phantasie des kleinen Gregory doch Flügel. "Damals", sagt er, "begann ich meine ersten ästhetischen Projektionen zu entwickeln, indem ich das Aufgeschnappte in meinem Kopf zu meinen ganz persönlichen Bilderwelten ausbaute. Und heute mache ich nichts Anderes."

In ihrer schrecklichen Schönheit haben Crewdsons Bildkompositionen eine starke suggestive Wirkung. Man wird regelrecht hinein gesogen in diese alltäglichen und doch so irritierenden Szenarien. So steht zum Beispiel eine schöne junge Frau in BH und Unterrock im Schlafzimmer und betrachtet sich im Spiegel, während ihr Mann im Pyjama auf der Kante des Ehebetts hockt. Bei dieser, wie bei allen anderen Foto-Inszenierungen, beginnt man automatisch mit der Suche nach Indizien, nach intimen Details, um die Situation aufzuklären.

Das Bedürfnis nach einer perfekten Welt

"Meine Bilder", so Crewdson, "beziehen ihre Spannung aus meinem irrationalen Bedürfnis eine perfekte Welt zu erschaffen und der Unmöglichkeit, dies zu erreichen. Ich will eine komplizierte Schönheit kreieren, die psychologisch aufgeladen ist mit all unseren Ängsten, Träumen und Wünschen."

Was er damit meint, verstehen wir spätestens dann, wenn uns beim Betrachten der Bilder - wie in jedem guten Psycho-Thriller - die eigenen Emotionen das Gruseln lehren.