Was bestimmt eigentlich unser Wohlgefühl? Diese Frage wurde wohl in jedem Jahrhundert unterschiedlich beantwortet, auch in der Architektur. Während es früher schon reichte, ein Dach über dem Kopf zu haben, sind unsere Ansprüche mit den Möglichkeiten gestiegen – und haben für unterschiedliche Modeerscheinungen gesorgt. Die Bauten des Barock, der Romanik, des Rokoko wichen der Moderne, die prunkvollen Räume jener Zeiten den klaren, leeren Hallen von heute.

Kengo Kuma, der 1954 in Yokohama zur Welt kam, hatte in seinem Land wenig mit Rokoko und anderem europäischen Chichi zu tun. Den Japaner hat ein Ausflug mit seinem Vater zu seiner Berufswahl und seiner eigenen Bauweise inspiriert. Philip Jodidio, Autor mehrerer Bücher und ehemaliger Chefredakteur des französischen Kunstmagazins "Connaissance", zitiert Kuma in seiner Einführung zu dem großen Bildband "Kuma. Complete Works 1988–Today" mit dessen Erinnerung: "Es war ein Tag im Jahr 1964, damals war ich zehn Jahre alt. Mein Vater war kein Architekt, sondern Geschäftsmann, aber er hatte sehr viel für Architektur übrig. Manchmal nahm er mich mit, und wir sahen uns ein Bauwerk an. In jenem Jahr brachte er mich zu Kenzo Tanges Nationaler Sporthalle Yoyogi, die im Oktober 1964 fertiggestellt worden war. Damals gab es in Tokio noch viele Holzhäuser. Kenzo Tanges Entwurf faszinierte mich, dieses Stadion schien bis zu den Wolken zu reichen, bis in den Himmel. Es beeindruckte mich, nicht nur von außen, sondern auch von innen. Das Tageslicht ergoss sich von weit oben über die Aluminiumplatten ins Innere, es war wie im Traum. Ich wusste bis zu jenem Tag nicht, dass es den Beruf des Architekten gab. Bis dahin hatte ich Tierarzt werden wollen, weil ich Katzen liebte. An jenem Tag im Jahr 1964 beschloss ich also, Architekt zu werden."
Die neue Interpretation traditionellen japanischen Holzbaus
Welchen Einfluss das Material eines Gebäudes auf einen Menschen hat, lernte Kuma zunächst durch Japans "Metabolismus"-Bewegung kennen, über die Kenzo Tange, einer ihrer Vertreter, sagte: "Architektur soll zu den Herzen der Menschen sprechen." Auf der Abschlussreise seines Studiums tat sich ein weiterer Aspekt auf, der Kuma prägte: der Einklang von Architektur und Natur. In dem Taschen-Band zitiert ihn Jodidio erneut: "Unsere Reise begann in Algerien, in einem Auto mit Allradantrieb, von dort aus fuhren wir weiter nach Süden, bis zur Elfenbeinküste. Zeitgenössische Architektur ernüchterte mich damals, aber die Reise inspirierte mein Nachdenken über die Zukunft der Architektur. Ich brachte vor allem neues Materialwissen nach Hause. Die Wüstenbewohner hatten Lehmziegel benutzt, und je weiter wir nach Süden kamen, desto mehr Holzhäuser gab es. In Küstennähe bestanden nahezu alle Gebäude aus Bambus oder dem Holz des Kakaobaums. Ich fand die Häuser schön, mir gefiel, wie sie mit ihrer Umwelt interagierten."
In Europa hat Kengo Kuma bis heute nicht die Bekanntheit erreicht, die er verdient. Möglicherweise liegt das an seiner Kritik an sogenannten Stararchitekten, an denen er bemängelt, dass sie wirtschaftskonform arbeiten und darüber den Ort ignorieren, an dem das von ihnen entworfene Gebäude stehen wird.
Im Nachwort des Bildbandes sieht Kuma eine Chance in der Corona-Pandemie, nicht nur für die Architektur: "Vor diesem Hintergrund denke ich, dass wir uns an einem Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit befinden. Jetzt ist es an der Zeit, auf einem anderen Weg einen Schritt nach vorn zu machen."