Es gab eine Zeit, als New Yorker Frauen vor und nach dem Sex rauchten. Damals wäre zwar eine Fernsehserie wie "Sex and the City" noch undenkbar gewesen, aber das heimliche erotische Leben im "Big Apple" und einigen anderen Orten Amerikas war wohl keineswegs weniger prickelnd. John Updike, dieser Meister kluger Ironie und flotter Boshaftigkeiten, erinnert sich daran mit kaum überlesbarer Wehmut.
Die meisten der zwölf Erzählungen, die der Rowohlt Verlag unter dem Titel "Wie war's wirklich" herausgebracht hat, behandeln Updikes Lieblingsthema: Frauen. Genauer gesagt: Geliebte. Ab und an kommen zwar auch die Gattinnen seiner Helden vor, aber meist nur als ebenso vertraute wie ferne Wesen, zu denen Ehemänner nach triumphalen, aber oft anstrengenden Seitensprüngen mehr oder weniger gern zurückkehren.
Vorwurf des Voyeurismus
Als die Erzählungen vor einigen Jahren im "New Yorker" und schließlich in dem Sammelband "Licks of Love" erschienen, nutzten manche Updike-Kritikerinnen das erwartungsgemäß, um sich einmal mehr an dem Meister der Erzählkunst zu reiben. Aber der hier und da erneut laut gewordene Vorwurf, Updike schreibe über Frauen voyeuristisch, allein aus maskuliner Perspektive, mithin frauenfeindlich, ist ebenso abgestanden wie unbegründet.
"Die sauren Trauben eines alten Mannes"
Seine Männergestalten sind keineswegs überlegen und durchaus nicht weniger verunsichert als ihre Partnerinnen, schleppen nicht weniger unerfüllte Sehnsüchte mit sich herum als die Frauen, die mit ihnen ins Bett gehen. Sicher, da ist wieder dieser nostalgisch-bittersüße Ton, mit dem Updike schon früher über Sex schrieb. Sein 1997 erschienener Roman "Gegen Ende der Zeit" - der Held ist ein an Prostatakrebs leidender Mittsechziger, der mit Hilfe einer blutjungen Prostituierten noch einmal seinen erotischen Träumen nachhängt - erinnerte die "New York Times" an die "sauren Trauben eines alten Mannes".
Sex als Bestandteil einer Sittenskizze Amerikas
Als Ende 2000 "Licks of Love" herauskam - Updike war im selben Jahr 68 geworden - bemerkte der Kritiker A.O. Scott in derselben Zeitung, dass dessen Helden "die Geschichten ihrer Fleischeslust offenbar andauernd parat haben und die Erinnerung an den Intimgeruch und die Formen von Frauen, die sie vor vielen Jahren und manchmal so gut wie gar nicht kannten, wie auf ein Fingerschnippen hin aktivieren können". Doch die Erotik ist für Updike kein Selbstzweck, sondern integraler Bestandteil einer Sittenskizze Amerikas lange vor "Sex and the City".
In einer der Erzählungen formuliert er beim Nachdenken über die Geschlechterbeziehungen eine Grunderkenntnis: "Du kannst auf die dunkle Seite des Mondes reisen und wieder zurück und erlebst doch nichts, das wunderbarer und staunenswerter wäre als die Art, in der es Männern und Frauen gelingt, zueinander zu kommen."
Wieder einmal lässt der Star der "short story" seiner Ironie und seiner Fantasie freien Lauf. In "Banjospielen im Kalten Krieg" zum Beispiel fliegt der Seitensprung eines amerikanischen Musikers, der in der Sowjetunion auf Tournee ist, durch die Unachtsamkeit einer Mitarbeiterin des State Department auf. Bei allem Spaß drückt sich Updike nicht vor bitteren Einsichten: "Untreue... macht anfangs das erotische Feld eines Paares weiter, fruchtbarer, lässt es am Ende aber müde und ausgelaugt zurück."
Thomas Burmeister, DPA
John Updike: Wie war's wirklich
Rowohlt Verlag, Reinbek
251 Seiten, 19,90 Euro