Mirjam Müntefering "Mein Vater ist ein Border Collie"

Sie ist Autorin, Hundetrainerin und Kind eines prominenten Politikers. Jetzt hat sie das autobiografische Buch "Tochter und viel mehr" geschrieben. Ein Gespräch mit Mirjam Müntefering über Mensch und Tier, ihre Homosexualität und ihren Vater Franz.

Sie sind Lesbe, Hundetrainerin und Schriftstellerin. Fühlen Sie sich wohl unter Randgruppen?

Ich empfinde mich nicht so, als würde ich in einer Randgruppe leben.

Aber auf einer Party dürfte die Hundetrainerin eher als Exotin gelten, oder?

In der Regel sind die Leute interessiert. Interessierter als an der Schriftstellerei. Da hat man gleich so einen Intellektuellenstempel. Dabei bin ich gar keine Intellektuelle. Bei Hundetrainerin denken noch viele an den klassischen Hundeplatz, wo eher der Hund ausgebildet wird. Ich bin eher eine Trainerin für Menschen mit Hunden.

Was gefällt Ihnen an Hunden besonders?

Sie sind unmittelbar und niemals falsch.

Wenn Sie sich als Hundetrainerin das SPD-Wolfsrudel ansehen, was fällt Ihnen dazu ein?

Bei Wölfen gibt es ein Alphatier, dann gibt es die Alttiere, die juvenilen Tiere und die Welpen. Das ganze Rudel kümmert sich darum, die Welpen aufzuziehen und den Nachwuchs zu versorgen. Bei Hunden ist das übrigens nicht so. Deswegen glaube ich, dass alle Parteien eher Hunderudel sind. Da kümmert sich jeder nur um sich selbst.

Fehlt der SPD gerade ein starkes Alphatier?

Ich halte nichts davon, dass ein Einziger die Galionsfigur ist. Man braucht viele Alphatiere, die am Wohlergehen aller interessiert sind.

Wäre Ihr Vater ein Hund, was für eine Rasse wäre er?

Auf jeden Fall ein Arbeitshund. Da kommen zum Beispiel die Hütehunde infrage. Vielleicht ein Border Collie oder ein Australian Shepherd. Oder ein Herdenschutzhund.

Hütehund, Herdenschutzhund: Was genau ist der Unterschied?

Die Hütehunde sind damit beschäftigt, die Schafherde zu umkreisen und zusammenzuhalten und dahin zu treiben, wo der Schäfer sie hin haben will. Die Herdenschutzhunde sind dazu da, die Tiere vor Wölfen oder wildernden Hunden zu beschützen. Es gibt Rassen, die sind so ein Mittelding. So was wäre mein Vater. Eins passt allerdings nicht: Diese Hunde sind häufig ziemlich nervös. Das ist mein Vater nicht.

Als Kind waren Sie ein Wildfang. Wie kamen Ihre Eltern damit zurecht?

Die mussten das hinnehmen. Mein Vater fand das natürlich toll, dass ich so eine war, die Fußball spielt und alles macht, was mutige und neugierige Kinder so machen. Meine Mutter musste sich von allen anhören, dass sie als Kind ja genauso gewesen sei.

Blöde Hetero-Frage: Wären Sie lieber ein Junge gewesen?

Nein, ich bin total froh, eine Frau zu sein.

Waren Sie darüber auch als Kind und Jugendliche froh?

Ja. In meiner Jungsclique erfreute ich mich großer Anerkennung. Die fanden das toll, dass ich so gut Fußball spielen konnte, obwohl ich ein Mädchen war. Und mit den Mädchen konnte ich über Gefühle sprechen, Geheimnisse haben.

Zur Person

Mirjam Müntefering wurde 1969 geboren. Sie ist Tochter aus erster Ehe des SPD-Politikers Franz Müntefering. 1998 veröffentlichte sie ihren ersten Roman "Ada sucht Eva". Sie hat sich früh zu ihrer Homosexualität bekannt und wurde dabei von ihrem Vater unterstützt - er riet ihr zu offensivem Umgang mit dem Thema. Müntefering lebt im Ruhrgebiet, wo sie eine Hundeschule betreibt und Bücher schreibt. Soeben erschien ihr autobiografisches Buch "Tochter und viel mehr" (Piper, 7,95 Euro).

Waren Ihre Eltern streng?

Hier passt: liebevolle Konsequenz.

Ein Beispiel?

Ich habe nie erlebt, dass jemand gesagt hätte: "Du bist aber um acht Uhr zu Hause." Ich wurde gefragt: "Wann wirst du zu Hause sein?" Diese Zeit wurde von uns Kindern dann auch eingehalten. Wir wurden zur Eigenverantwortung erzogen.

War das Eintauchen in die Lesbenszene der willkommene Befreiungsschlag nach der Provinzjugend im Sauerland?

Das war schon toll. Man muss sich nur mal vorstellen, wie viel Auswahl man im Sauerland so hat. Dann auf dem Frauenschwof in Düsseldorf: zack, 2000 Lesben auf einem Haufen! Wow! Man entwickelt ein bestimmtes Zusammengehörigkeitsgefühl, ein Modebewusstsein. Das war eine nachgeholte Sturm-und-Drang-Zeit.

Klingt spannender als unsere verklemmten Hetero-Partys.

Ist das verklemmt? Muss ich mal gucken gehen.

Jedenfalls gibt es nicht die Offenbarung: Wow, 2000 potenzielle Abschleppkandidaten!

Moment! One-Night-Stands gibt's bei Lesben selten. Nee, da umkreist man sich monatelang auf den Schwofs, bis man sich zum ersten Mal anspricht.

Mit 19 haben Sie Ihren Eltern einen Brief an ihren Urlaubsort geschickt, um ihnen mitzuteilen, dass Sie lesbisch sind. Warum einen Brief?

Da war ich noch so nah an der Pubertät, wo es mir schwerfiel zu reden. Sollte man jetzt nicht mehr meinen, aber so war's.

Ihre Eltern haben Sie dann angerufen, um zu sagen, dass alles in Ordnung sei und Sie sich keine Sorgen zu machen brauchten. Haben Sie danach miteinander geredet?

Klar. Aber viel gibt's da auch nicht zu reden. Man kann fragen: "Bezieht sich das nur auf diese Frau? Oder auf alle Frauen?" Auf manche Sachen weiß man auch keine Antwort, wie: "Meinst du, du kannst dich auch noch mal in einen Jungen verlieben?" Keine Ahnung!

Wurden Ihre Partnerinnen im Alltag von Ihrer Familie akzeptiert?

Meine Eltern kannten meine erste Freundin ja schon. Die ging dann bei uns ein und aus und wurde zu allen Festen eingeladen. Meine jetzige Lebensgefährtin ist für meine Mutter wie eine zweite Tochter.

Ist Lesbentum gelebter Feminismus?

Man muss nicht lesbisch sein, um Feministin zu sein. Ich kenne viele Feministinnen, die mit Männern leben. Interessanterweise sind das nicht immer Männer, denen man solche Frauen zutraut. Eigentlich würde man denken, das sind dann so Weicheier.

Weicheier will man dann auch nicht?

Nein. Weder männliche noch weibliche.

Sie bezeichnen sich selbst als Leaderin. Ist Macht sexy?

Macht hat für mich etwas Negatives. Da klingt Missbrauch mit.

Aber Ihr Vater ist ein Machtmensch.

So sehe ich ihn nicht. Ich habe ihn zwar immer als einen eitlen Menschen gesehen. Das sagt er auch von sich selber. Nicht in dem Sinne, dass er gut aussehen will. Aber er wollte immer was erreichen, wollte, dass andere stolz auf ihn sind. Anerkennung. Ehrgeiz.

Aber machtbewusst war er schon?

Nein. Ich war immer verwundert, wenn er auf der politischen Karriereleiter wieder ein Stückchen nach oben geklettert ist. Ich habe ihn nie als jemanden empfunden, der die und die Position anstrebt, koste es, was es wolle. Er ist immer nur dorthin gegangen, wo er gefragt war, wo er nötig war.

Ihr Vater war selten zu Hause. War das Ihr großes Jugenddrama?

Nein. Wenn mein Vater da sein musste, war er da. Und ich konnte ihn jederzeit telefonisch erreichen. Lieber einen Vater, der räumlich nicht da, aber immer ansprechbar ist, als einen, der jeden Tag da ist, aber auf dem Flur nur brummelnd an einem vorbeigeht.

2007 zog sich Ihr Vater zurück, um sich um seine kranke Frau Ankepetra zu kümmern. Hätten Sie sich manchmal gewünscht, dass er sich für Sie, Ihre Mutter und Ihre Schwester etwas mehr zurücknimmt?

Nein. Das war völlig in Ordnung so. Irgendwann hat man auch ein Alter erreicht, wo man nicht ständig von den Eltern begluckt werden will. Dann ist man froh, wenn man seine Freiheiten hat.

Hat Sie der Rücktritt Ihres Vaters überrascht?

Ich fand das sehr gut. Das zeigt, was wirklich für ihn zählt. Gerade, weil er seine Arbeit so sehr liebt. Ich konnte mir nie vorstellen, wie er ohne die viele Arbeit auskommt.

Sie haben bis jetzt 19 Bücher geschrieben. Wie würden Sie Ihre Werke beschreiben?

Als bunte Vielfalt. Wie bei Merci. Es gibt Erwachsenenbücher, reine Lesbenbücher und Jugendbücher. Allesamt sind meist Liebes- und Selbstfindungsgeschichten: Wer bin ich, wo will ich hin.

Sie haben keine Kinder. Woher wissen Sie, was Kinder beschäftigt?

Ich glaube, ich bin selbst noch ziemlich jugendlich. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie das war, als ich Teenager war.

Und heute zeigen Sie denen, wo's langgeht?

Ich stehe da nicht als Pädagogin. Durch die Hundeschule habe ich zwar eine gewisse Autorität gelernt, aber die Jugendlichen betrachten mich eher als jemanden, der auf ihre Ebene rutscht. Ich kann mir gut vorstellen, wie das ist in diesem ätzenden Alter. Will ja keiner mehr sein. Zwischen 14 und 18. Ist ja ekelhaft.

So schlimm?

Meine Jugend fand ich schlimm, ja. Als ich 13 war, habe ich eine gute Freundin an den Freitod verloren. Das hat alles geprägt, was ich später erlebt habe. Ich hatte Schwierigkeiten, darüber zu reden. Über diese Zeit habe ich nun zum ersten Mal in meinem neuen Buch geschrieben.

Sie schreiben fast nur über Gefühle. Kamen Gefühle in der Familie Müntefering zu kurz?

Nein. Meine Mutter ist ein sehr emotionaler Mensch. Ein Bauchmensch. Während mein Vater intellektueller war. Sprechen konnte ich mit beiden, wenn ich wollte.

Hatten Sie das Bedürfnis, zu Hause mehr zu besprechen, als gesprochen wurde?

Also bitte! Die Probleme, die man mit 13, 14 hat, bespricht man doch nicht mit den Eltern!

Sie haben Politik aus nächster Nähe erlebt. Wäre das nicht ein gutes Romanthema?

Vielleicht mal irgendwann.

Ein Politroman von Münteferings Tochter wäre bestimmt spannend.

Das wäre mir zu gefährlich. Und wenn die Presse dann kommt und wieder autobiografische Bezüge sucht, ginge mir das so was von auf die Nerven. Ich bin auch mit den Vaterfiguren in meinen Büchern immer sehr vorsichtig. Ich muss darauf achten, dass klar wird, dass nicht mein Vater gemeint ist.

Wie würden Sie den Sprachstil Ihres Vaters beschreiben?

Sauerländisch. Volksnah.

Auf jeden Fall anders als Ihr Stil.

Mein Gott, wenn ich so schreiben würde, wie mein Vater redet!

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Interview: Stephan Maus