Zadie Smith Irgendwie sie selbst

Von Andrea Ritter
Ihr Debüt "Zähne zeigen" machte sie berühmt - und verschaffte ihr den Ruf einer recht eigensinnigen Autorin. Zadie Smith ist sich treu geblieben und überrascht wieder mit einem vielschichtigen Roman.

Ebenso gut könnte man mit der E-Mail von Zadie Smiths Agentin beginnen:

Betreff: Interview Zadie Smith
Vielleicht kann ich Ihnen noch etwas Allgemeines zu den Interviews sagen. Sie (Zadie Smith) wird oft als eine Sprecherin ihrer Generation betrachtet und nach ihrer Meinung zu empfindlichen Themen gefragt - aber sie selbst sieht sich nicht so. Sie bevorzugt es, über ihre Bücher und das Schreiben zu sprechen, was meiner Ansicht nach verständlich ist, und sie gibt dazu sehr gute Interviews!

Im Klartext heißt das: Bitte reden Sie mit der Frau über Literatur. Und fragen Sie nicht den ganzen anderen Mist, nur weil sie jung, schön, halbschwarz und weiblich ist.

Von innen...

... kommt bekanntlich die wahre Schönheit - wie man sie erkennt, kann man in Zadie Smiths neuem Roman nachlesen. Unter anderem. Dem Genre nach ein heiterer Campus-Roman über zwei gegensätzliche Kunstprofessoren in den USA, erzählt "Von der Schönheit" (Ü: Marcus Ingendaay, Kiepenheuer & Witsch, 516 S., 22,90 Euro) noch eine ganze Menge mehr: Liebe, Ehekrise, erwachsen werden, Fehler machen - die ganze Palette des Lebens also. Dass die Autorin bei so vielen Handlungssträngen manchmal ein wenig geschwätzig wird, verzeiht man ihr sofort: Ihre Erzähleuphorie ist einfach entwaffnend.

So "britisch wie ein Trockenkeks"

Nach dem bahnbrechenden Erfolg ihres ersten Romans "Zähne zeigen" wurde die damals 24-jährige Tochter einer jamaikanischen Einwanderin und eines Engländers als Wunderkind der Multikulti-Gemeinde gehypt: Eine Frau, fotogen dazu, die einen Roman über das Mi-granten-Milieu in Nordlondon geschrieben hat. Ein Milieu, aus dem sie selbst zu stammen schien und dem sie nun eine Stimme verliehen haben sollte - ungeachtet der Tatsache, dass Zadie Smith in England geboren und nach eigenen Angaben so "britisch wie Trockenkeks" ist. Die Journalisten folgten ihrem neuen Liebling bis an die Türschwelle und darüber hinaus. Als Zadie Smith sich plötzlich damit konfrontiert sah, Gerüchte über lautstarke Liebesspiele im Whirlpool dementieren zu müssen, hatte sie erst mal keine Lust mehr auf Presse.

Zwei Familien, die gegensätzlicher nicht sein könnten

"Ebenso gut könnte man mit Jeromes E-Mail an seinen Vater beginnen" - so eröffnet Zadie Smith nun ihr drittes Buch "Von der Schönheit". Ein Anfang, der den Roman "Wiedersehen in Howards End" des britischen Schriftstellers Edward M. Forster (1879-1970) zitiert. Und nicht nur den ersten Satz, auch die Grundzüge der Handlung hat Zadie Smith von Forster übernommen: Zwei gegensätzliche Familien, geprägt von unterschiedlichen politischen Grundsätzen und Lebensprinzipien, prallen aufeinander.

"Reine Bequemlichkeit", kommentiert Zadie Smith diese Entscheidung. Fast so, als hätte sie Angst, dass auch ihr neues Buch eine Art Überhöhung erfahren und in der "Geschwätzigkeit des Literaturbetriebs", wie sie sagt, überinterpretiert werden könnte.

Irgendwie ist das eine merkwürdige Kombination, diese selbstbewusste Frau, die so knallige Sachen sagt ("Tom Wolfe in seinem weißen Anzug É Pfff, nein danke!" "Philip Roth? Na, wenn er meint, dass er zu allem eine Meinung rausposaunen muss.") - und dann wieder zögert: "Ich vertrete keine Meinungen, die ich in meinen Romanen zum Thema mache. Vielleicht fehlt mir dazu die Persönlichkeit. Ich schreibe immer sehr schnell. Andere legen ein Buch erst mal ein Jahr in die Schublade und polieren dann immer wieder drüber. Das mache ich nie. Ich hänge an der ersten Fassung, irgendwie."

Irgendwie ist Zadie Smith eine Frau, zu der das Wort "irgendwie" perfekt passt. Ein bisschen unpräzise, ein bisschen hibbelig und dann wieder die große Pauke: "Männer? Ach wissen Sie, manchmal finde ich es fast niedlich, sie zu beobachten. Vor allem, wenn sie Eindruck schinden wollen. Männer haben mir schon die unglaublichsten Sachen erzählt, ohne eine Sekunde darüber nachzudenken, dass sie mir gerade hervorragenden Stoff für eine Romanfigur liefern."

Abneigung gegen geschwätzige Männer

Ihrer unverhohlenen Geringschätzigkeit gegenüber großspurigen Männern folgend, hat sie selbst ein eher ruhiges Exemplar geheiratet: den nordirischen Dichter Nick Laird. An den offenbar selbst gestrichenen gelben Wänden im Badezimmer hängen Gedichte, auf Umweltpapier kopiert. Einige sind von dem amerikanischen Dichter Mark Doty, einige namenlos, und ein paar von ihrem Mann. "Durch Nick weiß ich, wie schwierig das mit dem Schreiben tatsächlich ist", sagt Zadie Smith. "Alles Glückssache. Mit "Zähne zeigen" habe ich offenbar einen beliebten Ton getroffen. Ein kommerzieller Erfolg, der nichts über schriftstellerisches Talent aussagt."

Müheloser Perspektivwechsel von Jamaika an die Uni

Ihr Ton lebt von seiner Überzeugungskraft, auch in ihrem aktuellen Buch. Scheinbar mühelos kann sie die Perspektive wechseln, von den Immigranten aus Indien oder Jamaika in "Zähne zeigen" in die Haut des Universitätsprofessors in "Von der Schönheit" schlüpfen. Doch auch das ist so eine Sache, die sie nicht gelten lässt: "Bei "Zähne zeigen" haben die Leute immer gefragt: Woher weißt du so gut, wie asiatische Immigranten denken und reden? Meine Gegenfrage: Wieso geht ihr davon aus, dass meine Immigranten "richtig" klingen? Das beweist doch nur, dass eine Vorstellung davon existiert. Und aus diesem Fundus bediene ich mich. Das ist alles."

Umso merkwürdiger findet sie es, wenn sie heute in einer Buchhandlung turmhohe Stapel von ihrem Roman sieht - und die Bücher ihres Mannes nur auf Nachfrage aus irgendwelchen Regalen geholt würden. "Literaturbetrieb", sagt sie wieder mit ihrer tiefen lauten Stimme. Und schüttelt den Kopf.

"Voyeuristisch" nennt sie ihre Art zu schreiben

Immerhin: Der Betrieb hat dem Paar eines jener typisch englischen Reihenhäuser verschafft, in Kilburn im Norden Londons. Hier ist Zadie Smith aufgewachsen, hier lebt sie seit mehr als 30 Jahren. Ihre Eltern wohnen um die Ecke. Ein ruhiger Stadtteil mit braven Wohnhäusern und einer quirligen Hauptstraße, in der arabisches "Halal Food" neben "Fish and Chips" verkauft wird. Hier wird die Sprache gesprochen, die Zadie Smith so treffend in ihre Romane überträgt und für die sie nicht gelobt werden will. "Voyeuristisch", nennt sie ihre Art zu schreiben. "Es gibt Autoren wie Hemingway. Die gehen raus, knallen einen Bären ab und schreiben darüber. So bin ich nicht. Ich höre zu und mische dann alles zusammen: Erfahrung, Beobachtungen und Bücher, die ich gelesen habe."

Für ihren aktuellen Roman über die Professoren der Kunstgeschichte war das Fachliteratur über Rembrandt, das Werk von E.M. Forster und immer wieder Nabokov; vor allem dessen Campus-Novelle "Pnin" von 1957. Notizen? Macht sie sich nie. "Eine Idee muss so klar sein, dass sie hängen bleibt."

Dass ihr aktueller Roman an einer Ostküstenuniversität in der Nähe von Boston spielt, ist natürlich kein Zufall: Während Zadie Smith das Buch schrieb, war sie dort, in Harvard, als Dozentin für englische Literatur. "Harvard. Tja. Man muss wohl Amerikanerin sein, um die umfassende Bedeutung dieses Namens verstehen zu können. Das ist mehr als eine Universität - ein Zentrum der Macht." Leicht hochgezogene Augenbrauen verraten Skepsis, auch ihrer Tätigkeit dort gegenüber. "In Harvard gehört es ja wohl zum guten Ton, Berühmtheiten unterrichten zu lassen. Und ich schätze, ich sollte so eine Berühmtheit sein."

Skepsis gegenüber Harvard

Die Studenten, die sich auf ein Partyseminar unter der Leitung des hippsten britischen Literaturexports gefreut hatten, lagen allerdings falsch. "Wer nur wissen wollte, wie es sich anfühlt, im "New Yorker" zu stehen, konnte gleich wieder gehen. Ich nehme Literatur sehr ernst. Und den Unterricht darüber noch viel mehr." Auf dem Lehrplan standen Forster, Austen, Dickens, Brontë - englische Klassiker eben.

Hautfarbe ist bei ihr das entscheidene Thema

Das komplette Personal der geisteswissenschaftlichen Fakultät einer Ostküsten-Uni kann man nun in ihrem Roman wiederfinden - mit allen Klischees: Da gibt es die feministisch angehauchte Dozentin für kreatives Schreiben mit dem Herz für Randgruppen aller Art, den ergebenen Assistenten und den speichelleckenden Nachwuchs. Lähmende Institutssitzungen, in denen die Anschaffung eines neuen Kopierers verhandelt wird. Und im Mittelpunkt: die Debatte darüber, ob schwarze Studenten besonders gefördert werden sollten. Oder ob, im Gegenteil, diese Förderung eine Form der Diskriminierung darstellt.

Wie sie das selbst sieht? Vorsicht, da ist er wieder, dieser Verdacht. Dass man diese Frage ihr, einer halbschwarzen Frau, wegen ihrer Hautfarbe stellt. Dass man sie als die Sprecherin sieht, als die sie nicht verstanden werden möchte. "Ich habe versucht, ein amerikanisches Thema zu beschreiben. Hier in England gibt es diese Debatte nicht." Ganz streng ist sie in diesem Punkt. Wohl auch, weil sie das Gefühl hat, dass man dem Thema Hautfarbe bei ihr einen größeren Stellenwert beimisst. "Hautfarbe", sagt sie und beugt sich nach vorne, "ist bei mir nicht das entscheidende Thema. Es geht um Unterschiede zwischen Menschen - und da gehört Hautfarbe dazu. Und meinetwegen geht es auch darum zu zeigen, dass die Klischees, die damit verbunden sind, eben genau das sind: Klischees."

"Gefühlsunterricht" nennt sie ihre Beschreibungen

Tatsächlich macht sie das sehr geschickt. So geschickt, dass man ihren Roman schon genau lesen muss, um hinter der parodistischen Einfachheit ihrer Figuren die komplexe Struktur der Konflikte zu erkennen. Ein Beispiel: Kiki, die dicke schwarze Frau des dünnen milchgesichtigen Professors, beschwert sich. Ihr Leben habe sie aufgegeben, aus Liebe zu ihrem Mann, und es in Kreisen weißer Akademiker verbracht, mit denen sie nie etwas anfangen konnte. Und gerade als man denkt, aha, Schwarz-Weiß, typischer Fall von Anpassung der Minderheit an die Mehrheit, erfährt man: Die schwarze Frau, die ihr Leben an der Seite eines schwarzen Ehemannes verbracht hat, beklagt dasselbe. So wird aus dem vermeintlichen Konflikt der Hautfarben ein Konflikt der Geschlechter, der sich wiederum als ein Konflikt von Individuen entpuppt. Da will Zadie Smith mit ihrem Buch hin: Hinter den Unterschieden von Hautfarbe, Parteibuch oder Weltanschauung stecken sehr ähnliche Schwächen, Sehnsüchte oder Träume. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. "Gefühlsunterricht", nennt sie das. "Ein Roman ist für mich wie ein großes Versuchslabor. Da kann man wunderbar Sachen durchspielen, ohne selbst etwas zu riskieren."

"Hysterischer Realismus" sagt ein Kritiker

Der Gefühlsunterricht, mehrere Handlungsstränge und das Spiel mit dem großen Ganzen - Zadie Smith nennt ihre Romane "messy", unordentlich. Der renommierte englische Literaturkritiker James Wood hat ein anderes Wort dafür gefunden: "Hysterischen Realismus" nannte er ihre Schreibweise; ein Genre, zu dem er auch Autoren wie David Foster Wallace rechnet. Ein bisschen zu viel, ein bisschen zu wirr, ein bisschen zu dick aufgetragen, soll das wohl heißen. Zadie Smith zuckt mit den Schultern. "Zu meinem ersten Roman passt das auf jeden Fall. Aber ich werde bestimmt in Zukunft völlig andere Bücher schreiben. Das Wirre aber wird bleiben. Irgendwie hänge ich immer an der Atemlosigkeit der ersten Fassung." Und genau das macht ja auch den Charme ihrer Bücher aus. Irgendwie.

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