"Die Herbstzeitlosen" Mit Dessous gegen das dörfliche Idyll

Im Film "Die Herbstzeitlosen" mischen ältere Frauen mit Dessous ein Dorf in der Schweiz auf. Und das dörfliche Idyll gewährt tiefere Einblicke als die Damen in zarter Wäsche.

"Man sieht sie nicht, aber man erahnt sie", schwärmt eine Runde von vier alten Damen. Die Rede ist von schönen Dessous, dem "Drunter". Doch die Schweizer Komödie "Die Herbstzeitlosen" dreht sich nur vordergründig um spitzenbesetzte Hösli. Vor allem geht's um das gesellschaftliche "Drunter" einer vermeintlichen Dorfidylle, das hervorblitzt, als die Greisin Martha beschließt, einen alten Traum zu verwirklichen. Denn als die 80-jährige Witwe eine Lingerie-Boutique eröffnet, ist plötzlich der Teufel los.

"Es" Martha nämlich, wie es in schwyzerdütsch heißt, überwindet ihre Depression nach dem Tod ihres Mannes nicht etwa durch ehrenamtliche Tätigkeiten, wie ihr Sohn vorschlägt. Die gelernte Miedermacherin lässt sich stattdessen von der flotten Lisi davon überzeugen, im Tante-Emma-Laden ihres verstorbenen Mannes eine Wäscheboutique aufzumachen: "Petit-Paris". Unvermittelt sieht sich das liebenswürdige Ömchen wegen der sündigen Reizwäsche einem gnadenlosen Mobbing der tonangebenden Herren ausgesetzt. Neben dem umtriebigen Bauer und konservativen Politiker Fritz ist ausgerechnet Marthas Sohn Walter, der Dorfpfarrer, der garstigste von allen.

Die Niedertracht des Gottesmannes

Und wenn der honorige und moralisch keinesfalls fleckenlose Gottesmann mit seiner Bibelgruppe in Marthas Laden aufkreuzt und ihre liebevoll bestickten Dessous - wohlgemerkt: es handelt sich nicht um Strapse, sondern um mit Trachtenblümchen bestickte Seidenhemdchen - in den Altkleidercontainer stopft, raubt einem diese Niedertracht geradezu den Atem. Doch die Aktion bringt immerhin Marthas betagte Freundinnen Hanni und Frieda dazu, sich mit der mutigen Unternehmerin, deren Boutique sie zunächst ebenfalls mit scheelen Augen betrachteten, zu solidarisieren.

In der Schweiz feierte diese wundervolle kleine Heimatkomödie, die zunächst als Fernsehfilm konzipiert war, einen größeren Erfolg als "Der Teufel trägt Prada", - und dies trotz oder vielleicht sogar wegen der Falten des Damenquartetts, das zusammen mindestens 200 gelebte Jahre zählt. Nun sind zwar Kinokomödien über unkonventionelle Frauen 50+, wie zum Beispiel die britische Komödie "Kalender Girls", fast zum Subgenre geworden. Anders aber als in den exzentrikverliebten angelsächsischen Ländern ist diesmal die Stimmung vergleichsweise grimmig, wenn die bisher braven Hausfrauen ihren Anlauf zum zweiten beziehungsweise dritten Frühling nehmen.

Engstirniges Puritaner-Milieu

Und so wird es ganz schnell ungemütlich in der Postkartenidylle des Emmentals, als sie sich den Vorstellungen ihrer "bünzligen", sprich spießigen Söhne widersetzen, die sich eine anständige Oma nur als pflichtbewusste, schweigende Helferin in Haus und Hof vorstellen können. Mal ganz davon abgesehen, dass Seidenwäsche in diesem "währschaften" (engstirnigen) Puritaner-Milieu als ebenso moralisch anstößiger wie unnützer Luxus gilt. Und gerade deshalb macht es besonders viel Spaß, wie die ihrerseits recht harschen Damen mit Trippelschritt, aber festen Schuhen die Schikanen unterlaufen und sich mit Fahrstunde und Computerkurs unabhängig machen.

Dank des ausgearbeiteten Drehbuchs, in dem es zwar gelegentlich holpert, das aber Lebensumstände beleuchtet, ohne der Versuchung zur Klamotte nachzugeben, entwickelt die Geschichte mehr Tiefsinn als erwartet. Und wie Stephanie Glaser, eine "Grande Dame" der Schweizer Schauspielszene, als verhärmte Martha ihre Sinne wieder entdeckt, wie sie über Spitzen streichelt, und wie sie ihr Gesicht in die Sonne hält, dass ist ebenso rührend wie unvergesslich. Bleiben noch zwei Bitten: dass der Film, erstens, hier zu Lande untertitelt laufen möge, denn ohne das bärbeißige Schwyzerdytsch wäre alles nur halb so nett. Zweitens, eine Information im Abspann: Wo gibt's besagte Seidenhemdchen zu kaufen? Märci vielmals.

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Birgit Roschy/AP

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